ULAN BATOR - Musikalische Revolution dank technischer Evolution

23. Januar 2017

Ulan Bator

eclipsed: Du hast das neue Album „Stereolith“ quasi nebenbei während der „Abracadabra“-Tour 2016 im Hotel und im Tourbus auf deinem Laptop konzipiert, komponiert und auch als Demo aufgenommen. Wie lief das ab?

Amaury Cambuzat: Die Zeiten haben sich geändert. Wenn du heutzutage Musik produzieren willst, dann musst du überall und schnell arbeiten können, gerade auch, wenn du viel auf Tour bist. Durch die neuen Technologien, Laptops und Pads mit MIDI-System kann ich überall und jederzeit Musik aufnehmen. Die Möglichkeit, das in einem Hotelzimmer mit Kopfhörer und einem einfachen mobilen Audio-Interface zu machen, hat meine Art, Musik zu komponieren, komplett verändert, und zwar auf allerbeste Weise. Ich arbeite gern so. Mit Gitarre und USB-Keyboard, einfach im Plug-in-and-play-Modus, erstelle ich die Basistracks, arbeite neue Melodien aus. Das ist jederzeit möglich, bis ich glaube, die richtige Stimmung gefunden zu haben. Für „Stereolith“ habe ich die meisten der so entstandenen Sounds beibehalten. Allerdings nahm ich im Nachhinein noch den Bass, die Drums, das Saxofon und die Vocals mit den Musikern, die mich auch auf der Tour begleitet haben, neu auf.

eclipsed: Das Album weist viele verschiedene Stile, Strukturen, Stimmungen und Klänge auf. Woher kommt das?

Cambuzat: Der Klang ist für mich ebenso wichtig wie die Musik. Am wichtigsten ist, dass ich Atmosphären finde, die mich emotional auf neue Art bewegen. Für mich macht es keinen Sinn, mich zu wiederholen, zumal ich selbst beeinflusst bin von verschiedenen Musikstilen: vom Krautrock, vom Progressive und da ganz speziell von der Canterbury-Schule, und von der New Yorker No-Wave-Szene. Ich höre auch viel elektronische Musik, und zwar so unterschiedliche Sachen wie Cluster oder Animal Collective. Ich bin in Paris aufgewachsen und habe dort am Konservatorium Klavier studiert. Das hilft mir immer noch bei den Harmonien. Als Teenager waren Brian Eno, Tony Visconti, George Martin und Todd Rundgren meine Superhelden. Sie haben mit altem Equipment beeindruckende Klänge erzeugt.

eclipsed: Die Tracks auf „Stereolith“ sind kurz und kompakt, wären aber auch dazu geeignet, deutlich länger zu sein. Hattest du keine Lust, die Tracks und Ideen weiter auszuarbeiten, zu variieren oder auszudehnen?

Cambuzat: Ich habe versucht, jedem Track und auch dem ganzen Album genau die richtige Länge zu geben. Ich hoffe allerdings, dass der Hörer, am Ende des Albums angekommen, es gleich noch mal abspielen möchte. Live wird das wahrscheinlich anders sein. Ich bin mir sicher, dass wir die Tracks dieses Albums live in erweiterten, „transzendenten“ Versionen spielen werden.

eclipsed: Nach über 20 Jahren bist du immer noch sehr experimentell. Ist es heute schwieriger als damals zu experimentieren?

Cambuzat: Im Sinne von „Neuland zu betreten und die Grenzen des Möglichen zu verschieben“ – so gesehen bin ich wohl experimentell. Für mich ist das Wort „experimentell“ aber keine musikalische Kategorie, sondern eher ein Ausdruck dafür, wie ich mit der Musik umgehe und dass ich dem Leben allgemein mit Neugierde begegne. Am Anfang war die Musik von Ulan Bator sehr rau, heute ist sie bunter, farbiger. Das Leben ist dann interessant, wenn es eine Entwicklung gibt. Das Gleiche gilt für die Musik. Ich experimentiere noch immer, wahrscheinlich sogar mehr denn je, aber eben auf andere Art, weil ich andere, neue Instrumente und Aufnahmetechniken benutze. Aber statt „experimentell“ genannt zu werden, würde ich es lieber haben, wenn die Musik von Ulan Bator als eigenständig und authentisch angesehen würde.

eclipsed: Du hast bereits mit Faust und Michael Gira von den Swans zusammengearbeitet. Welche Erfahrungen hast du da gemacht?

Cambuzat: Michael Gira hat unser Album „Ego: Echo“ produziert und auf seinem Label Young God Records veröffentlicht. Ich persönlich habe viel von ihm über die Arbeit im Studio gelernt, speziell, was die Produktion und das Arrangement betrifft. Er ist ein toller Produzent mit klaren Vorstellungen. Die Zusammenarbeit mit Faust begann 1996, als wir an unserem dritten Album „Végétale“ arbeiteten. Als wir Péron und Diermaier trafen, begannen wir zunächst unter dem Namen Collectif Met(z) live zu spielen. Meine Zusammenarbeit mit Péron und Diermaier dauert bis heute an. Ich habe Gitarren und Keyboards für die Faust-Alben „C’est Com … Com … Compliqué“ und „Disconnected“ aufgenommen, auch für diverse Live-Projekte.

eclipsed: Dein langjähriger musikalischer Partner Olivier Manchion, mit dem du 1993 Ulan Bator gegründet hast, verließ die Band 2001. Was hast du damals gefühlt?

Cambuzat: Er hat sich nach der Tour zu „Ego: Echo“ entschlossen, die Band zu verlassen, um sich ganz seinem Privatleben zu widmen. Er ist ein wirklich toller Bassist. Gerade am Anfang haben wir uns wechselseitig vermisst, weniger als Musiker, sondern eher als Freunde. Aber ich habe andere gute Musiker gefunden, die mich seither begleiten. Ich muss aber sagen, dass die wirkliche Entwicklung, die Revolution unserer Musik durch die neue Technik und Software ermöglicht wird. Das erlaubt mir, die Dinge zu tun, die ich wirklich tun will und die noch vor 15 Jahren überhaupt nicht möglich waren. Ich startete meine Musikerkarriere mit analogem Equipment und muss zugeben, dass Computer mir sehr helfen, nicht nur beim Komponieren und Aufnehmen, sie reduzieren auch die Kosten deutlich.

* * * Interview: Bernd Sievers