SHAMALL - Musikalischer Geschichtsunterricht vor meditativer Kulisse

26. Oktober 2016

Shamall

SHAMALL hat mit der 5 CD Box „History Book” eine beeindruckende Werkschau abgeliefert; drei Jahrzehnte sind eine Menge Holz, auch in der Musikbranche. Norbert Krüler alias Shamall hat sich längst seine eigene „Wohlfühlzone“ zwischen Prog, Space Rock und Elektronik geschaffen. „History Book“ bietet einen reichhaltigen Überblick über sein Schaffen. Aus im Ganzen 13 Alben aus der Zeit zwischen 1989 und 2009 hat er dabei ausgewählt.

eclipsed: Mit der 5 CD Box „History Book” hast du eine beeindruckende Werkschau abgeliefert. Wie kam es zu diesem Projekt – warum jetzt diese umfassende Retrospektive, was gab den Anlass?

Norbert Krüler: Der Grund war natürlich das 30-jährige Bestehen von Shamall. Also ein passender Anlass für einen musikalischen Rückblick „from the beginning to now“.

eclipsed: Wie bist du dieses Projekt angegangen? Wie hast du die Songs ausgewählt und über die CDs verteilt?

Krüler: Ich habe mir die Titel aller Alben noch einmal angehört und dann nach meinem persönlichen Gefühl entschieden.

eclipsed: Es gibt einen klaren Schnitt. Material vor 1989, so deinen 86er-Radio-Hit „My Dream“, hast du weggelassen (Ausnahme „Caligula 2009“, ursprünglich ebenfalls von 86). Sicher eine ganz bewusste Entscheidung?

Krüler: „My Dream“ als auch „Feeling Like A Stranger“ waren rückblickend zwei existenzielle Grundlagen-Kompositionen, ohne die der Einstieg in die professionelle Musikwelt wohl nicht gelungen wäre. Gute Electro-Pop-Titel, die in den 80ern verwurzelt sind, aber mit dem Schaffen von heute gar nichts mehr zu tun haben. Anders verhält es sich bei „Caligula 2009“. Zum einen hat der Titel noch heute eine große Fangemeinde, und zum anderen habe ich auf Grund der Tatsache, dass er mein absolutes Erstlingswerk war, dazu noch immer ein besonderes Verhältnis.

eclipsed: Gleichzeitig finden sich keine Tracks von deiner letzten Studioscheibe „Turn Off“ von 2013, dafür ist CD 5 aber das Schmankerl in der Box. Hier finden sich Outtakes, sehr gelungenes Restmaterial von „Turn Off“. Übrigens ist es eine sehr konsumentenfreundliche Entscheidung, dass man diese CD auch einzeln kaufen kann! Warum aber hast du dies überhaupt mit in die Box integriert und nicht gleich als ganz normales neues Werk vermarktet?

Krüler: Da es sich bei „Continuation“ nicht um ein neues Album im klassischen Sinne handelt, sondern um nicht veröffentlichte Musik des „Turn Off“-Themas, war dies eine gute Möglichkeit, den Fans auch diese, wie ich persönlich finde, wirklich guten Tracks zukommen zu lassen.

eclipsed: Gab es bei deinen alten Alben kein Restmaterial, das auf der Box hätte Platz finden können?

Krüler: Diese Outtakes aus früheren Phasen findest du auf „Collectors Items“ aus dem Jahr 1993 und auf „Feeling Like A Stranger – The Whole Trip“ von 2010.

eclipsed: Gab es ein Remastering bei den älteren Stücken?

Krüler: Auffällig waren bei der Zusammenstellung die unterschiedlichen Lautstärken verschiedener Alben. Diese wurden subtil auf ein gemeinsames Level hin angeglichen. Um den Zeitgeist dieser Musik nicht zu zerstören, wurde auch ansonsten beim Remastern penibel im psychoakustischen Bereich gearbeitet.

eclipsed: Besonderes Lob gebührt der sehr wertigen und schönen Aufmachung im Schuber und dem jeweils individuellen Cover-Artwork für jede einzelne CD. Was stand hinter dem alles verbindenden fernöstlich wirkenden Mann, der jeweils vor den unterschiedlichen Szenarien kontemplativ dasitzt?

Krüler: Es war uns sehr wichtig, auch optisch eine Verbindung zwischen den einzelnen Alben herzustellen. So kam die Idee auf, dass ein tibetanischer Mönch die Entwicklung der einzelnen Shamall-Phasen durch die Jahre begleiten könnte.

eclipsed: Würdest du im Nachhinein gerne einiges an früheren Tracks ändern? Musstest du dieser Versuchung widerstehen?

Krüler: Ich habe schon häufig darüber nachgedacht, frühere Titel in die Gegenwart zu transportieren. Da gäbe es schon einige. Dagegen jedoch spricht, dass viele Fans ihre Jugenderinnerungen gerade mit den Originalversionen verbinden. Weiterhin ist Fluch und Segen zugleich, dass man als Musiker selbst über die Jahre einem Entwicklungsprozess unterliegt und eben dadurch diese Titel mit anderen Ohren hört. Bei einer Neuinterpretation bestünde somit das große Risiko, den ursprünglichen Charme der Originale zu zerstören.

eclipsed: Gibt es Stücke, die dir heute selbst nicht mehr gefallen?

Krüler: Nicht wirklich. Jeder Titel ist Teil der Entwicklung.

eclipsed: Nach der Arbeit an einer solchen Werkschau fällt man entweder in ein schwarzes Loch, oder aber man packt gleich wieder neues Material an – wie steht es da bei dir?

Krüler: Musik ist für mich eine Herzenssache. Ich könnte mir keinen Tag ohne Musik vorstellen. Ich verschwende beim Arbeiten auch keinen Gedanken an einen späteren Erfolg. Man kann kein gutes, kreatives Werk erstellen, wenn man sich kommerziellen Zwängen unterwirft. Von daher ist es immer wieder spannend, wie weit ich mich mit Hilfe meiner Mitstreiter musikalisch noch entwickeln kann. Schwarze Löcher sind da kein Thema.

eclipsed: Wie sieht sich Shamall anno 2016 – ein mit sich und seinem Werk zufriedener Musiker?

Krüler: Zurückblickend auf das Schaffen der letzten 30 Jahre? Doch, mit Abstrichen trifft das schon zu.

eclipsed: Hat dir die Arbeit an deinem musikalischen Werk gleichsam neue Horizonte, einen neuen Blick auf deine eigene Arbeit eröffnet?

Krüler: Das kann ich so nicht sagen. Musik ist für mich eine „Reise ohne Fahrplan“. Wenn ich selber Gänsehaut bekomme, dann hab ich was gut gemacht. „Wissenschaftlich“ analysieren kann ich das nicht.

* * * Interview: Walter Sehrer