Singende Multiinstrumentalisten, die ganze Alben ohne weitere Musiker eingespielt haben, gibt es nicht so viele – Paul McCartney, Phil Collins, Prince und Mike Oldfield sind sicherlich die bekanntesten Vertreter dieser Spezies. Auch der Australier Ben Craven, der soeben sein drittes Album „Monsters From The Id“ veröffentlicht hat, zählt zu dieser illustren Riege, denn der studierte Elektrotechniker aus Brisbane ist nicht nur ein guter Sänger, sondern besticht obendrein an diversen Instrumenten, wobei seine hochmelodiösen Gitarren-Soli bisweilen an Steve Hackett erinnern.
Im eclipsed-Interview berichtet Craven nicht nur über seinen schwierigen Weg zur „Ein-Mann-Band“, sondern auch seine mannigfaltigen Einflüsse und die australische Prog-Szene. Sogar Sigmund Freuds „Strukturmodell der Psyche“ kommt zur Sprache.
eclipsed: Viele Musiker haben schon in jungem Alter ein Instrument gelernt. Wann hat bei dir die Faszination Musik begonnen, und wann hast du beschlossen: „Damit will ich mein Geld verdienen.“?
Ben Craven: Ich war sechs Jahre alt, als ich eine Geige geschenkt bekam. Ich habe meine Eltern geradezu belästigt, mich zum Geigenunterricht zu schicken! Als ich dann bemerkte, dass ich üben muss, war ich viel weniger interessiert. (lächelt) Ich glaube, ich habe einen soliden musikalischen Background, weil ich ein bisschen was über Musiktheorie und das Instrument gelernt habe, aber vor meinem 16. Lebensjahr hatte ich nie in Erwägung gezogen, meine eigene Musik zu schreiben oder bei einem Orchester einzusteigen. Damals entdeckte ich, wie es ist, seine eigene Musik zu kreieren, und wenn einen das mal gepackt hat, geht es nicht wieder weg. Es dauerte allerdings lange, um die einzelnen Instrumente zu erlernen und das Equipment zu bedienen – damals hatte ich ein altes Mehrspur-Aufnahmegerät. Vom ersten Tag an war ich daran interessiert, alles selbst zu machen.
eclipsed: Abgesehen von den Geigenstunden, die du im Laufe der Jahre genommen hast, bist du an Keyboards, Gitarre, Bass und Schlagzeug Autodidakt. Wann wurde dir klar, dass die „Mike-Oldfield-Methode“ – sprich: alle Instrumente selbst zu spielen – auch für dich geeignet ist?
Craven: Als ich aufwuchs, besaß meine Mutter eine Kassette von „Tubular Bells“, aber ich wusste damals nicht viel über Mike Oldfield. Als ich etwa 17 Jahre alt war, hörte ich „Ommadawn“: Damals kaufte ich eine VHS-Kassette von Mike Oldfields Auftritt in Knebworth, und das war für mich eine absolute Offenbarung. So etwas wollte ich auch machen, aber ich hätte nie gedacht, dass ich das auch umsetzen könnte – er war einfach zu gut! Dennoch wollte ich eines Tages etwas machen, das zumindest annähernd so großartig ist.
eclipsed: Zu welchen anderen Musikern hast du anfangs aufgeschaut?
Craven: Das ist ziemlich offensichtlich. (lacht) Pink Floyd waren ein großer Antrieb. Ich liebte auch die Dire Straits, aber Mark Knopfler war als Gitarrist zu gut für mich, weswegen ich nicht dachte, an ihn heranzukommen – bis David Gilmour des Weges kam. Seine Soli waren länger und emotionaler, und er verwendete mehr Effekte. Da dachte ich mir: „Das ist interessant – das kann ich vielleicht auch!“ Die andere Band, die mein Leben „ruinierte“, war Yes. Wenn man Yes gehört hat und einmal in dieser Geistesverfassung ist, gibt es kein Zurück mehr. Danach kann zwar wieder normale Songs schreiben, aber es macht halt nicht mehr so viel Spaß!
eclipsed: Bist du eigentlich Vollzeit-Musiker oder hast du auch einen normalen Job?
Craven: Ich habe einen normalen Job, denn das ist die einzige Möglichkeit, wie ich meine Musik finanzieren kann: die Produktion, die Herstellung und die Promotion. Ich habe nie den Pfad des Vollzeit-Musikers eingeschlagen. Vielleicht wäre es in Großbritannien oder Europa leichter gewesen, aber ich wollte nicht wegen meiner Kunst verhungern. (lacht) Ich bin eigentlich Elektroingenieur: Nach meinem Elektrotechnik-Studium habe ich in diversen IT-Jobs gearbeitet, und nebenher habe ich meine eigenen Gitarrenpedale entworfen. Wenn ich keine Musik machen würde, würde ich vermutlich Effekt-Plugins und Aufnahme-Software entwerfen – das würde mir unglaublich viel Spaß machen.
eclipsed: Du beschreibst deine Musik als Cinematic Prog. Hast du schon mal für Filme komponiert oder würdest du das in Zukunft gerne mal tun?
Craven: Bisher habe ich das noch nicht getan, aber ich würde das liebend gerne tun. Es gibt von mir einige Songs, mit denen TV-Beiträge, Newsmeldungen und der eine oder andere Independent-Film unterlegt wurden, aber dieser Bereich ist extrem umkämpft. (lächelt) Die Zahl an Leuten, die wie Hans Zimmer oder Danny Elfman sein wollen, ist sehr groß, und sie sind vermutlich viel besser als ich. Trotzdem würde ich das gerne machen, und „Monsters From The Id“ lehnt sich absichtlich an epische Film-Soundtracks an. Ich habe noch vergessen zu erwähnen, dass John Williams einen großen Einfluss auf mich hatte. Eine der ersten Platten, die ich zu Weihnachten geschenkt bekam, war „1984 – A Space Odyssey“ (deutscher Filmtitel: „2010: Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen“; Anm.). Damals war ich „Star Wars“-Fan und konnte gar nicht glauben, wie gut die Musik war. Die andere Platte, die ich geschenkt bekam, war der „Ghostbusters“-Soundtrack – den habe ich allerdings nicht so oft gehört. (lacht) Schon als Kind liebte ich epische Filmmusik, nicht nur von John Williams, sondern auch von Jerry Goldsmith. Ich bin oft nur wegen der Musik ins Kino gegangen, nicht unbedingt wegen der Hauptdarsteller. Ich habe viele Filme gesehen, die schlechte Kritiken bekamen, aber tolle Musik hatten.
eclipsed: Als ich mir dein erstes Album „Two False Idols“ von 2006 angehört habe, fiel mir auf, dass dein jetziger Progressive-Rock-Stil hier noch nicht angedeutet war – stattdessen fiel es eher in die Rock- und Singer/Songwriter-Kategorie. Mit „Great And Terrible Potions“ von 2011 (ursprünglich unter dem Projektnamen Tunisia veröffentlicht; Anm.) hast du dagegen den Zugang zur Prog-Arena gefunden.
Craven: Als „Great And Terrible Potions“ entstand, hatte ich noch nicht das Equipment, um so viele Spuren aufzunehmen und verfügte auch noch nicht über die Arrangement-Fähigkeiten, die ich heute habe. Aber ich besaß einige Gitarren, und weil ich damals in einer Cover-Rock-Band spielte, konnte ich auf einige andere Musiker zurückgreifen. Dabei habe ich gelernt, wie man arrangiert, produziert und aufnimmt. Es dauerte eine Weile, bis ich den Mut aufbrachte, die Musik aufzunehmen, die auf „Great And Terrible Potions“ landete. Ich war immer der Meinung, dass Prog in Australien ein schmutziges Wort ist – und dass man die Musik dem Massengeschmack anpassen muss. Deshalb hielt ich die Musik zunächst zurück.
eclipsed: Dein Heimatland Australien hat in den letzten 20 Jahren einige interessante Prog- und Progmetal-Acts hervorgebracht, z.B. Karnivool, sleepmakeswaves, Caligula’s Horse und Plini. Bist du mit einigen der Musiker befreundet und hast du einige australische Lieblingsbands?
Craven: Ich wäre gerne mit ihnen befreundet! (lacht) Aber ich bin leider sehr abgeschottet und bewege mich nicht in den richtigen musikalischen Kreisen, um diese Leute zu treffen. Es ist mein eigener Fehler. (seufzt) In Australien ist auch eher Progmetal als traditioneller europäischer Progrock angesagt. Wenn man in Australien lebt, sollte man deshalb eher Progmetal machen, um gehört zu werden und auftreten zu können.
eclipsed: Der Titel deines neuen Albums „Monsters From The Id“ klingt sehr freudianisch. Bist du mit Sigmund Freuds „Strukturmodell der Psyche“ vertraut oder hast du den Albumtitel einfach deshalb gewählt, weil er gut klingt?
Craven: Ich kenne Freuds Modell tatsächlich, aber eigentlich bezieht sich der Titel auf einen alten Science-Fiction-Thriller aus den 1950er Jahren, der „The Forbidden Planet“ heißt (dt. Titel: „Alarm im Weltall“; Anm.). Er ist angelehnt an William Shakespeares Theaterstück „Der Sturm“, spielt aber im Weltraum. In diesem Film taucht zum ersten Mal Robby der Roboter auf, der später u.a. in „Lost In Space“ (US-Fernsehserie von 1965-68, dt. Titel: „Verschollen zwischen fremden Welten“; Anm.) zu sehen war, und der Soundtrack dazu besteht aus großartiger elektronischer Musik. Einer der Schlüsselbegriffe aus dem Film lautet „Monsters from the Id“, und als ich den Film zum ersten Mal sah, schrieb ich mir diese Phrase auf, weil sie mir so gut gefiel. Ich mochte die Idee dahinter und die Assoziationen zu Science-Fiction-Filmmusik, und deshalb wollte ich den Titel unbedingt mal verwenden.
eclipsed: Eigentlich wollte ich dich ja fragen, welche Monster deines eigenen „Es“ in deiner Musik und speziell auf diesem Album auftauchen.
Craven: Überraschend wenige! Aber wenn es ein Monster gäbe, dann Ehrgeiz – musikalischer Ehrgeiz. Textlich wollte ich mich nicht auf eigene Erfahrungen und Meinungen beschränken, sondern größere konzeptionelle Ideen aufgreifen.
eclipsed: Du hast mal gesagt: „Heutzutage versuche ich etwas so klar wie möglich in meinem Kopf zu hören, bevor ich es auf ein Instrument übertrage. Wenn man sich zu früh auf echte Töne festlegt, kann sich dies verheerend auf das Gesamtbild auswirken.“ Hältst du dich noch immer an diese Regel?
Craven: Absolut – so lange, bis ich ein besserer Musiker bin. An der Gitarre habe ich ein Fingergedächtnis und spiele dann ganz gewöhnliche, bekannte Patterns. Aber wenn ich eine Idee im Kopf habe, die ich noch nicht in Töne transformiert habe, muss ich die Melodie erst mal an einem Keyboard oder Klavier zusammensuchen. Deshalb lege ich Wert darauf, dass die Melodie felsenfest steht, bevor ich ans Instrument gehe – denn sobald ich am Instrument bin, klingt das Gespielte wie etwas, das ich bereits gemacht habe. Ich wünschte, ich wäre gut genug, um eine Melodie sofort im Kopf hören und dann die Noten aufzuschreiben – das wäre wundervoll. Andererseits mag ich das Geheimnisvolle, wenn man nicht weiß, woher eine Idee kommt und diese dann umzusetzen versucht. Es ging mir oft so, dass ich eine Idee hatte, die ich auf die Gitarre oder das Keyboard übertrug, und das Endergebnis klang ganz anders als die ursprüngliche Idee. Ich versuche, die anfängliche Idee festzuhalten, bevor das Bewusstsein dazwischenkommt …
eclipsed: … bevor du zu sehr darüber nachdenkst und das Ganze zu intellektuell wird.
Craven: Genau! Letztlich kommt die ursprüngliche Idee oft vom „Es“. (lacht)
eclipsed: Hast du die zwei epischen 20-Minuten-Stücke auf dem Album quasi von A bis Z komponiert oder hast du bestimmte Sektionen geschrieben, die du dann so gut wie möglich zusammengefügt hast?
Craven: Ganz klar letzteres. Ich setze mich nicht hin und schreibe etwas vom Anfang bis zum Ende, denn ich will nicht, dass das Ganze ein bewusster Prozess ist. Das Arrangieren und Zusammensetzen der Ideen ist ein bewusster Prozess, für den man sein Gehirn braucht. So was macht unglaublich viel Spaß, aber um die netten kleinen Ideen zu kriegen, ist es mir lieber, wenn das Ganze ein Mysterium bleibt. Wenn ich das Glück hätte, für einen Film oder eine Fernsehsendung zu komponieren, hätte ich vielleicht gar nicht diesen Luxus, weil ich da bestimmte Anforderungen erfüllen müsste. Letztlich habe ich nie gesagt „Ich will zwei 20-Minuten-Stücke komponieren.“, auch wenn ich das immer angestrebt habe.
eclipsed: In meiner Rezension habe ich deine Gitarrensoli mit denen von Steve Hackett, Roine Stolt und John Petrucci verglichen. Welcher dieser Musiker liegt dir besonders am Herzen?
Craven: Steve Hackett vergöttere ich. Vor ein paar Jahren habe ich ihn hier in Brisbane gesehen, und sein Spiel war makellos. Er inspirierte mich, die Gitarre aufzugeben, weil er so gut war! (lacht) Auch andere Leute haben mich schon mit Steve Hackett verglichen. Ich selbst versuche niemanden zu imitieren, aber ich arbeite daran, schneller zu spielen und hier und da auch mal eine schnellere Phrase einzuwerfen. Der andere Gitarrist, den ich verehrte, ist Tommy Emmanuel, aber auch bei ihm dachte ich: „Das werde ich nie können!“. Er ist ein toller Entertainer, und er ist eigentlich zwei Gitarristen in einem: Heutzutage spielt er nur noch Fingerstyle-Sachen auf der Akustischen, aber er ist auch an der E-Gitarre großartig und spielt sehr melodische und zugängliche Soli, die aufgrund der ausgewählten Töne auch sehr emotional klingen.
eclipsed: Ich finde auch deine eigenen Soli sehr bewegend, v.a. bei „Die Before You Wake“. Du hast einen tollen Sound und ebensolche Melodien.
Craven: Das freut mich sehr, danke! Es wird dich sicherlich nicht überraschen, wenn ich sage, dass ich gerne soliere! (lacht) Eigentlich spiele ich lieber ein Gitarrensolo als dass ich singe, denn die Gesangsmelodie ist in der Regel festgelegt und ändert sich, aber wenn ich die Möglichkeit zum Solieren kriege, sind alle Schleusentore weit geöffnet. Was die Soli angeht, so habe ich für „Monsters From The Id“ fünf- oder sechsmal so viele aufgenommen wie dann tatsächlich auf dem Album landeten.
eclipsed: Auch der Gesamtsound des Albums ist interessant. Meiner Meinung nach ist es ziemlich schwierig, filmische, bombastische Musik zu machen, ohne wie Hans Zimmer oder typische Hollywood-Blockbuster-Komponisten zu klingen – aber dir ist es gelungen, dieser Versuchung zu widerstehen.
Craven: Das Ganze ist definitiv eine Mischung aus traditioneller Rockband-Instrumentierung und Hollywood-Blockbuster-Klängen – und das Ergebnis klingt vermutlich nach keinem von beiden. (schmunzelt) Viele Progrock-Bands haben sich ja an Orchester-Alben versucht, aber oft klang es sehr kalkuliert, und jeder musste Kompromisse eingehen. Ich versuchte jedenfalls immer, das richtige Instrument für den jeweiligen Part zu finden.
eclipsed: Als ich „Monsters From The Id“ an meine eclipsed-Kollegen schickte, um ein Feedback zu erhalten, schrieb einer von ihnen: „Die Platte vereint so ziemlich alles, weswegen so viele Menschen Progrock scheiße finden. Überdramatisierte, völlig unnötig aufgeblasene Bombast-Materialschlacht. Grauenvoll!“ Wie würdest du deine Musik verteidigen?
Craven: Wenn du nicht „Grauenvoll!“ gesagt hättest, hätte ich geantwortet: „Das ist toll!“ Ich mag einfach bombastische Musik und hatte bei der Entstehung unglaublich viel Spaß. Natürlich gibt es immer Leute, die sagen, dass man den Bogen überspannt und dass das Ganze prätentiös ist – was auch stimmt, aber damit habe ich überhaupt kein Problem.
eclipsed: Ich persönlich finde das Album sehr farbenreich, mit viel Raum für Licht und Schatten. In welchen Bereichen – sei es musikalisch oder produktionstechnisch – hast du bei „Monsters From The Id“ im Vergleich zu deinen früheren Alben die größten Fortschritte gemacht?
Craven: Ich glaube, die Musik durchdringt alles. Meine Arrangement-Skills sind viel besser geworden, und ich habe weniger Angst, die Musik auszuwählen, an der ich arbeiten möchte. Ich bin selbstbewusster geworden, und das merkt man auch bei der Produktion. Denn je komplizierter die Musik ist, desto transparenter muss sie klingen.
Interview: Matthias Bergert