Kaum ein Song der Rockgeschichte ist so eng mit dem Schicksal seines Schöpfers verknüpft: Joy Divisions düsteres „Love Will Tear Us Apart“ bleibt auf ewig umweht vom Wissen um den Selbstmord ihres Frontmanns Ian Curtis im Alter von 23 Jahren. Sein Mythos überlagert jedoch nicht nur das schmale Werk der britischen Postpunk-Band, die sich nach Curtis’ Tod am 18. Mai 1980 entschloss, unter anderem Namen weiterzumachen. Er inspirierte auch zahlreiche Künstler. Doch wer war dieser Mensch, dessen Verzweiflung Legende wurde?
In den letzten 20 Jahren gab es mehrere Gelegenheiten, sich mit dem kurzen Leben des Ian Kevin Curtis zu beschäftigen. Vor allem die vielbeachtete Autobiografie seiner Witwe Deborah Curtis, „Touching From A Distance“ (1995), und Anton Corbijns Erfolgsfilm „Control“, (2007) ermöglichten tiefere Einblicke. Und doch bleibt dem neutralen Betrachter der Mensch Ian Curtis seltsam fremd, und sein musikalisches Vermächtnis erscheint zunehmend als mysteriöser Monolith, der dunkel und starr die Zeit überdauert und das finstere Bild seines Schöpfers entscheidend prägt.
Geboren wurde Curtis am 15. Juli 1956 in Stretford, unweit von Manchester. Schon als Kind begann er, Gedichte zu schreiben. Mit 19 heiratete er seine Schulfreundin Deborah Woodruff; 1979 kam Tochter Natalie zur Welt, Curtis’ einziges Kind. Glaubt man seinen Biografen und den Menschen, die ihn kannten, war es gerade diese Verantwortung als Ehemann und Vater, die den sensiblen, fragilen jungen Mann von Anfang an über Gebühr belastete. Um die Familie zu ernähren, ging er verschiedenen bürgerlichen Berufen nach. Doch sein Interesse galt in erster Linie der Musik.
Bei einem Konzert der Sex Pistols im Jahr 1976 hatte er Bernard Sumner und Peter Hook getroffen. Die drei gründeten eine Band, zu der Curtis die Texte und den Gesang beisteuerte. Bereits der Bandname weist die Richtung, in die sich die Musik und vor allem die düsteren Texte der Gruppe bewegen würden: Der Terminus „Joy Division“ entstammt dem Holocaustroman „Haus der Puppen“ des israelischen Schriftstellers K-Teznik 135633 (eigentlich Yehiel De-Nur), er bezeichnet eine „Lust-Brigade“ in Konzentrationslagern...