Seit ihrer Gründung 1980 haben die Einstürzenden Neubauten eine lange Reise hinter sich. Doch jede ihrer Platten ist ein Fanal, denn die in alle Richtungen offene Band macht stets aufs Neue Tabula rasa. Dies trifft auch auf ihr jüngstes Werk „Rampen: APM (Alien Pop Music)“ zu.
Für das musikalische Schaffen der Einstürzenden Neubauten gilt ein einziges ehernes Gesetz: Jede Art von Wiederholung ist strikt verboten. Allerdings würde ja auch die sture Befolgung dieser Regel letztlich eine Wiederholung darstellen. Deshalb greifen Blixa Bargeld und Co. auf ihrem neuen Doppelalbum „Rampen“ tatsächlich auch mal auf Bewährtes zurück, präsentieren es aber auf ganz neue Weise. Es scheint, als würden sie hier tatsächlich mit ihrer langjährigen Erfahrung in eine neue Phase des romantischen Expressionismus eintreten. Nach der Musik mussten sie nicht lange suchen, da sie wie von selbst zu ihnen kam. Im Gespräch mit eclipsed erzählte Neubauten-Architekt Blixa Bargeld von der Genese des neuen Albums, seinem Verhältnis zum Krautrock und der Verbindung, die zwischen „Rampen“ und dem „Weißen Album“ der Beatles besteht.
eclipsed: „Rampen“ ist an Vielfalt und Einfallsreichtum in eurem Œuvre unübertroffen. Ich habe das Gefühl, ihr habt für dieses Album allen Phasen der Einstürzenden Neubauten etwas entnommen.
Blixa Bargeld: Es war nicht so geplant. Auf der letzten Tour, die zweimal verschoben wurde und 2022 endlich stattfinden konnte, haben wir Rampen auf der Bühne gespielt – das sind Improvisationen. Ich nenne sie „gestützte Rampen“, weil wir vorher minimale Verabredungen treffen, was in diesen Improvisationen passiert, zum Beispiel wer in welchem Stück anfängt oder solche Sachen. [Gitarrist] Jochen Arbeit hatte ganz entscheidenden Anteil daran, weil er viele selbst gebaute Instrumente, wie unter anderem eine große elektrische Kalimba, mitbrachte, die wir vorher noch nicht benutzt hatten. Diese auf den Konzerten mitgeschnittenen Rampen haben wir dann im Studio noch mal neu aufgenommen. Natürlich vereinen sich da alte Neubauten, weil wir nach diesem Prinzip schon immer gearbeitet haben, mit neuen Sachen, neuen Instrumenten, neuen Textfragmenten. Die ganze Erfahrung der letzten 40 Jahre kann man ja nicht leugnen, die ist einfach da.
eclipsed: Definiert sich mit diesem Erfahrungsschatz nicht Risiko völlig neu? Es macht doch einen großen Unterschied, ob man mit oder ohne Erfahrung ins Risiko geht. Wie funktionieren die Rampen?
Bargeld: Rampe ist ja nicht im Sinne von „Rudis Resterampe“ zu verstehen, sondern als Abschussrampe. Der Anteil der Rampen hat sich im Laufe der Geschichte der Neubauten immer weiter vermindert, weil wir natürlich immer mehr Stücke hatten, die wir spielen konnten. Bei den letzten Konzerten war es in der Regel immer nur eine Rampe pro Abend. Da weiß man, worauf man sich einlässt. Diese Formation der Neubauten spielt ja nun auch schon seit 20 Jahren zusammen. Wir wissen ganz genau, wie alle ticken. Trotzdem wird man immer wieder überrascht, wenn etwas ganz anderes entsteht, als man sich hätte ausmalen können.
eclipsed: Anlässlich der Veröffentlichung des Neubauten-Albums „Ende Neu“ sprachen wir vor vielen Jahren über das Thema Transformation. Im Rahmen von „Rampen“ fand ja auch eine Transformation statt, denn aus den Rampen wurden Stücke. Wie seid ihr damit umgegangen?
Bargeld: Wir hatten ungefähr 25 oder 30 Rampen aus den unterschiedlichen Konzerten aufgenommen. Dann gaben alle ihre Stimmen dazu ab, was sie für wert befanden, weiterentwickelt zu werden. Es gab nur drei oder vier Rampen, für die einstimmig gestimmt wurde. Mit denen fingen wir an. In die anderen Rampen hörten wir immer wieder rein und versuchten zu konkretisieren, was den Einzelnen daran gefiel oder eben nicht. Auf diese Weise haben wir sie dann bearbeitet. Was uns daran reizt, lässt sich für jeden Einzelnen von uns vielleicht anders definieren. Wenn man das dann analysiert und versucht, die Stücke in diesem Sinne besser zu spielen, entwickeln sie sich womöglich noch mal in eine unvorhergesehene Richtung.