raucht man Worte, um über Musik politische oder soziale Botschaften zu vermitteln? Müsste sich eine derartige Botschaft nicht zumindest im Titel offenbaren, um verstanden zu werden? Ludwig van Beethoven hat genauso wie John Coltrane oder Duke Ellington demonstriert, dass dem nicht so ist. Auch die kanadische Band Godspeed You! Black Emperor findet immer wieder den passenden Ton, um Zeitgeschichte zu dokumentieren und zu kommentieren.
Es würde Efrim Manuel Menuck sicher nicht schwerfallen, lange Reden über die Musik seiner Band Godspeed You! Black Emperor (kurz GY!BE) zu schwingen oder zumindest gewichtige Statements dazu abzugeben. Doch er tut es nicht. Interviews lehnt der Gitarrist und Klangregisseur konsequent ab und lässt allein die Musik sprechen. Der Titel des neuen GY!BE-Albums „No Title As Of 13 February 2024 28,340 Dead“ wirkt auf den ersten Blick kryptisch. Am 13. Februar 2024 war der 79. Jahrestag der Bombardierung Dresdens. Doch darauf dürfte hier ebenso wenig angespielt werden wie auf den 50. Geburtstag von Popikone Robbie Williams am selben Tag.
Und doch bedarf dieser Titel tatsächlich keiner großartigen Entschlüsselung, denn seine Botschaft ist unmissverständlich: Bis zum 13. Februar 2024 forderte der Krieg zwischen Israel und der Hamas in Gaza laut dem dortigen Gesundheitsministerium 28.340 palästinensische Todesopfer. „No Title“ spielt auf die Machtlosigkeit der Kunst gegenüber der Gewalt an. In welcher Weise das Nahostdilemma, für das die Bezeichnung „Konflikt“ derzeit wie ein nostalgischer Euphemismus anmutet, seitdem eskalieren würde, war nicht vorauszusehen. Tracktitel wie „Babys In A Thundercloud“ oder „Broken Spires At Dead Kapital“ sprechen aber eine klare Sprache.
Wie alle GY!BE-Alben zuvor ist „No Title As Of 13 February 2024 28,340 Dead“ rein instrumental. Die Werke der Gruppe aus Montreal funktionieren wie moderne Sinfonien, deren innere Dramatik die Imagination des „sehenden Ohres“ steuert. Am Anfang steht eine von Gitarrenklängen gemalte Wüstenlandschaft. Orientalische Motive verraten, dass es sich hier weder um den Soundtrack zu einem Spaghettiwestern noch um einen Trip in die Weiten des amerikanischen Südwestens handelt. Der Sound ist episch und karg, verheißt aber zunächst keine Gefahr. Auf einmal setzt Donner ein. Ein Gewitter? Nein, es sind Bomben und Geschütze, die die bislang friedliche Stimmung des Tracks jäh zerstören. Die Gitarrensounds verdichten sich und schwellen an. Aus der Fläche entsteht Bewegung ...