Der ehemalige Gitarrist der schwedischen Death-Metaller Tribulation legt mit „Eyes Of The Living Night“ dieser Tage sein zweites Album als Singer-Songwriter mit Hang zur dunklen Seite vor. Wie bereits auf seinem Debüt besticht Jonathan Hultén mit schwermütigen, aber immer eingängigen Songs zwischen Nick Drake und Neofolk.
Sitzt man Jonathan Hultén im Zoom-Interview gegenüber, glaubt man im ersten Moment nicht, dass der freundliche, schüchterne, unscheinbare junge Mann und die stark geschminkte, in mysteriöse Gewänder gehüllte Kunstfigur, die er auf der Bühne und in seinen Videoclips verkörpert, ein und dieselbe Person sind. Ebenso seltsam ist, dass er, anders als andere Künstler, erst gar nicht versucht, die geheimnisumwitterte Aura aufrechtzuerhalten. Dabei hat der Schwede bereits zu seinen Zeiten als Gitarrist der erfolgreichen Death-Metal-Band Tribulation seiner Liebe zum extrovertierten Bühnen-Image gefrönt. „Aber bei Tribulation war da noch viel mehr als Verkleidungen und Schminke“, erklärt Hultén, „denn da war die exaltierte, energiegeladene Performance Teil des musikalischen Gesamtpakets, nicht nur das Visuelle. Das habe ich zwar durchaus beibehalten, aber das Energiegeladene, Exaltierte, das Tribulation auszeichnete, fehlt mir jetzt ein bisschen. Mal sehen, vielleicht entwickelt sich meine Musik in Zukunft da ja wieder hin.“
Bei Tribulation ist er vor zwei Jahren ausgestiegen, als seine Solo-Karriere, die zunächst eher ein Zufallsprodukt war, so richtig Fahrt aufnahm und Hultén sich entschloss, dass er nicht mehr zweigleisig fahren möchte. 2020 hat er sein Debütalbum „Chants From Another Place“ veröffentlicht, und obwohl es drei Jahre zuvor bereits eine (wenig beachtete) EP gegeben hatte, war der Überraschungseffekt riesig. Es folgten zwei Jahre später die faszinierenden „The Forest Sessions“, die aus alternativen Einspielungen seiner Songs bestanden, und nun liegt also das neue Werk „Eyes Of The Living Night“ vor, auf dem er seine Vision des Dark Folk mit leichten elektronischen Einschlägen weiter konsequent verfolgt. „Der große Unterschied zwischen den beiden Alben ist kein musikalischer, sondern betrifft eher die Konzeption“, verrät uns der Musiker. „Am ersten Album habe ich insgesamt rund acht Jahre gearbeitet, erst nur nebenbei, ohne Ziel, einfach Songs komponiert. Nun musste alles schnell gehen, wobei das Wort ‚schnell‘ natürlich relativ ist. Ich habe im Januar 2023 mit dem Komponieren begonnen und dann an den Songs gearbeitet. Aber ich hatte anders als vorher nur dieses eine musikalische Projekt, also wusste ich, dass es vorangehen muss!“