MEAT LOAF - Verstummen eines Unbändigen

9. März 2022

Meat Loaf

MEAT LOAF - Verstummen eines Unbändigen

Michael Lee Aday, der als Meat Loaf weltberühmt wurde, war die Verkörperung der dramatischen Rockgeste schlechthin – ein Unikat mit großer Stimme und noch größerem Ego im besten Sinne des Wortes. Am 20. Januar verstarb der Texaner, mit dem der Verfasser dieses Textes auch einige ganz persönliche Erlebnisse hatte, im Alter von 74 Jahren mutmaßlich an den Folgen einer Covid-19-Infektion. 

„Fleischklops“ mit Schalk im Nacken

Stählerner Händedruck, groteskes Grinsen, unbändige Energie, theatralisches Pathos, pure Herzlichkeit – das sind die Erinnerungen an Michael Lee Aday, die hochkommen, während dieser Text entsteht. Unter dem Künstlernamen Meat Loaf, zu Deutsch „Fleischklops“ oder „Hackbraten“, legte er als Musiker wie als Schauspieler eine unglaubliche Karriere hin – was für einen Mann, der definitiv keinem Schönheitsideal entsprach und zeit seines Lebens mit Gewichtsproblemen zu kämpfen hatte, alles andere als selbstverständlich war. Indem er den in Jugendzeiten erworbenen Spitznamen, der auf wenig subtile Weise auf das äußere Erscheinungsbild des sympathischen Berserkers anspielte, selbstironisch annahm, machte er sein vermeintliches Manko zum Erkennungsmerkmal.Über all die Jahrzehnte, in denen wir uns zu Interviews trafen, schien Meat Loafs innerer Motor stetig auf Hochtouren zu laufen. Dabei war er immer für Überraschungen gut: Bei unserem ersten Treffen im Herbst 1998 in der Suite eines Münchner Nobelhotels bat ich ihn, seine zehn Lieblingsalben zu benennen und kurz zu beschreiben. Unmittelbar vor dem Gespräch stiefelte Meat, wie jedermann ihn nannte, in einen ortsansässigen Plattenladen, um die Scheiben höchstpersönlich zu besorgen. Voller Stolz und immer mit einem Anekdotenjoker in der Hinterhand stellte er sie vor. 

Das nächste Treffen fand im Januar 2003 in Böblingen statt, anlässlich der Generalprobe für die ZDF-Show „Wetten, dass..?“, in der Meat ein Lied seines damals aktuellen Albums zum Besten gab. In der reichlich vorhandenen freien Zeit hatte er nichts Besseres zu tun, als etwa dem Autor dieser Zeilen die Brille von der Nase zu reißen, damit wie ein Derwisch durchs riesige Studio zu rennen und lauthals zu brüllen: „Das wird ein Superinterview, denn der Journalist sieht jetzt nicht, wie hässlich sein Gegenüber ist – und kann sich ganz auf meine Antworten konzentrieren.“ Feierlich überreichte er seinem alten Buddy Thomas Gottschalk das Augenglas, der es sich nicht nehmen ließ, es feixend auf die Nase zu setzen, ehe er es zurückgab. Am 30. Oktober desselben Jahres traf ich Meat backstage nach einem fulminanten Auftritt in der Münchner Olympiahalle im Rahmen seiner „Last World Tour“. Obwohl er vollkommen ausgelaugt wirkte, war der Schalk in seinen Augen unübersehbar. Die Brille wanderte vorsichtshalber in die Innentasche des Jacketts …

Biografische Höhen und Tiefen

Nun hat der Mann, der einen vor Gesprächen in den Arm nahm, als wäre man sein ältester Kumpel, ob man das wollte oder nicht, diese Welt verlassen. Sie hat damit ein echtes Unikum verloren, dessen Biografie schwindelerregende Höhe- und Tiefpunkte aufweist. Da sind einerseits weltweit mehr als 100 Millionen verkaufte Tonträger, auf der anderen Seite Depressionen und eine schwere Alkoholabhängigkeit in den 1980er-Jahren sowie das wiederholte zeitweilige Zerwürfnis mit Jim Steinman, jenem Arrangeur und Produzenten, der mit seinen Songs und seinem Bombastsound Meats Aufstieg zum Kultstar erst ermöglichte. Dazu kam seine Mitwirkung als Mime an grandiosen wie grässlichen Filmen. Auf die Frage, ob er mit all diesen Streifen qualitativ zufrieden sei, meinte er trocken: „Ich glaube nicht – das beweist schon die Tatsache, dass ich mich an mindestens die Hälfte davon nicht mehr erinnern kann. Doch einige wie ‚The Rocky Horror Picture Show‘, ‚Fight Club‘, ‚Crazy In Alabama‘ oder ‚Focus‘ nach einer Kurzgeschichte des Dramatikers Arthur Miller halte ich für ziemlich beeindruckend, und es macht mich stolz, dass meine Fresse darin zu sehen ist.“

Was bedeutete die Schauspielerei für ihn? „Für mich ist das nichts anderes als mein Job als Musiker – ich will in beidem so überzeugend, authentisch und vor allem ehrlich wie möglich sein. Es geht mir bei allem, was ich tue, um die Wahrheit. Gut, Wahrheit ist relativ. Aber niemand sonst auf diesem Planeten kann Meat Loaf sein.“

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