GENESIS - 40 Jahre „The Lamb Lies Down On Broadway“

25. September 2014

Genesis

Es war nicht so, dass Genesis nicht schon vor dem Jahr 1974 mit der Idee konzeptueller Rockkunst auseinandergesetzt hätten. Immerhin hatte die Band zuvor mit „Supper’s Ready“ ein sich über eine komplette LP-Seite erstreckendes Epos veröffentlicht und 1973 auf „Selling England By The Pound“ Songs präsentiert, die von einer bestimmten Vorstellung von „Britishness“ zusammengehalten wurden. An die Produktion einer Platte, die von Anfang bis Ende eine zusammenhängende Geschichte erzählt, hatten sich Genesis indes noch nicht gewagt.

Tatsächlich wurde die Genese des Projekts von den schwelenden Konflikten innerhalb der Gruppe überschattet. Nach längeren Diskussionen hatte sich das Quintett darauf geeinigt, seine Kreativität in einem Konzeptalbum zu bündeln. Zu diesem Zweck hatten Tony Banks, Phil Collins, Peter Gabriel, Steve Hackett und Mike Rutherford Ideen zusammengeschmissen, über die dann, wie bei ihnen üblich, abgestimmt wurde. Sie einigten sich schließlich auf die von Gabriel vorgeschlagene Geschichte von Rael, einem toughen puerto-ricanischen Street Kid in New York, das sich unfreiwillig auf eine surreale Reise begibt. Diese startet damit, dass plötzlich eine unsichtbare Mauer auf dem Times Square aufragt und sich Rael auf der falschen Seite wiederfindet und dort gefangen ist.

Er wird – so die Lesart einiger bandexterner Interpreten – in sein eigenes Unterbewusstsein geführt, das ein plastisch dargestelltes Eigenleben voller sexueller Wunschvorstellungen, Kastrationsfantasien und ähnlichem zu führen beginnt. „Dass die Figur ein tougher, junger New Yorker ist, war mir sehr wichtig, denn es macht sie real und greifbar“, so Gabriel kurz nach der Veröffentlichung. „Die Stadt versprüht eine gewisse Hektik und Aggression, die auch Rael eigen ist. Die Idee war zu zeigen, wie eine solche Figur sich verhält, wenn man sie in ein Fantasy-Umfeld steckt.“ Um die komplexe Story verständlicher zu machen, ließ Gabriel eine die Handlung zusammenfassende Kurzgeschichte auf der Plattenhülle abdrucken.

Die Band geht neue Wege

Auf der „Selling England By The Pound“-Tour hatten Gabriels exaltierte Performance und seine extravaganten Maskeraden den Frontmann in den Mittelpunkt des Medieninteresses gerückt. Dies schmeichelte seinem Ego, nervte die übrigen Bandmitglieder aber zusehends. Bei „The Lamb“ bestand der Sänger darauf, sämtliche Texte im Alleingang zu schreiben und überließ den Kollegen das Schreiben der Musik. Eine kleine Revolution – bis dahin war es bei Genesis üblich gewesen, dass alle Mitglieder beim Songwriting involviert waren. „Peter hatte zunehmend Probleme damit, die Lyrics anderer Leute zu singen“, erinnert sich der ebenfalls textende Tony Banks.

Für Freude sorgte dieser Egotrip beim Rest der Band somit nicht. Vor allem Banks und Rutherford waren pikiert, weil ihnen ihre Rolle als Texter durchaus wichtig war, auch wenn Banks später zähneknirschend einräumte: „Wenn man bei einem Konzeptalbum eine gewisse Kontinuität bei den Texten haben wollte, war es einfach besser, wenn nur eine Person diese schrieb, und das war eben Peter.“ Im Gespräch mit Bandintimus Armando Gallo sagte der Keyboarder allerdings auch: „Auf eine gewisse Weise waren sich die Texte recht ähnlich, denn Peter hat eine gewisse Art mit Worten umzugehen, er spielt mit ihnen, während Mike und ich eher realistisch schreiben.“

Lesen Sie mehr im eclipsed Nr. 164 (Oktober 2014).