Es war ein Schock. Die ersten PR-Fotos, veröffentlicht im März 1994, kurz vor Veröffentlichung von „The Division Bell“, zeigten einen ausgezehrten David Gilmour. Er wirkte hager und hart, die grauen Haare kurz geschoren. Womöglich war er gezeichnet von den Kämpfen, die in den späten Achtzigern zwischen ihm und seinem ehemaligen Bandkollegen Roger Waters getobt hatten. Ließ sich an dem Äußeren des einfühlsamen Gitarristen ablesen, dass er sich in der gerichtlichen Auseinandersetzung, die Züge einer Privatfehde trug, aufgerieben hatte? Dass ihm der wirtschaftliche Aspekte bei der Unternehmung Pink Floyd letztlich wichtiger war als die künstlerische Seite?
Der Eindruck täuschte. In allen Belangen. Pink Floyd waren 1994 im Hier und Jetzt angekommen. Sie taten es auf ihre eigene Weise – mit einer Rückbesinnung auf die Siebzigerjahre. Wie kein anderes ihrer Alben nach „Wish You Were Here“ (1975) atmete das neue Werk „The Division Bell“ den Spirit jener Hochphase des Artrock. 1994 war die Zeit erneut reif für Artrock, was es dem Album leichter machte als seinem Vorgänger „A Momentary Lapse Of Reason“ (1987). Die Musikwelt empfing das neue Floyd-Material mit offenen Armen. Gerne wird kolportiert, dass Taucher mit Horchgeräten um Gilmours Studiohausboot „Astoria“ herumgeschwommen waren, um vor dem Release erste Eindrücke zu erhaschen. Das Album eroberte in den USA und Großbritannien aus dem Stand Chartplatz 1; es stürmte auch in vielen weiteren Ländern an die Spitze und erreichte so höhere Platzierungen als jedes andere Floyd-Album.
Die Stärke der Marke Pink Floyd zeigte sich, als die von Gilmour angeführte Band und Roger Waters Ende der Achtzigerjahre mit ihren Veröffentlichungen und Tourneen gegeneinander antraten. Der Bassist hatte keine Chance gegen die Magie, die der Markenname Pink Floyd immer noch besaß. Als Waters 1992 „Amused To Death“ veröffentlichte, bemerkte er zynisch: „Stünde Pink Floyd drauf, würde es sich zehn Millionen Mal verkaufen“. Gilmour, Nick Mason und Rick Wright gingen gestärkt in die Neunziger. Mit dem nächsten Album würden sie niemandem mehr etwas beweisen müssen. Die gelöste Atmosphäre hört man auf „The Division Bell“.
Gilmour: „Wir funktionierten viel besser, als wir es während der Streitereien mit Roger taten. Die Aufnahme von ,A Momentary Lapse Of Reason‘ war ein extrem schwieriger, spannungsgeladener Prozess. Aber der Erfolg des Albums und der Tour sowie der Spaß, den wir an der gemeinsamen Arbeit hatten, ließen uns das neue Album viel entspannter angehen.“ Diese Komfortzone trug Früchte, als sich Gilmour, Mason und Wright (der wieder vollwertiges Bandmitglied war) im Januar 1993 in den Londoner Britannia Row Studios zu ersten Jam-Sessions trafen. Zwei Wochen lang trugen sie dort unzählige Songideen zusammen. Ein neuer Release war dabei zunächst gar nicht Ziel der Musiker, jedoch erkannten sie rasch das Potenzial des neuen Materials. „Nur David, Rick und ich, ein Tontechniker am Zwei-Spur-Aufnahmegerät und so viel Zeit wie wir wollten“, beschreibt Mason die Situation. „Auch wenn wir aus bitterer Erfahrung auf eine Enttäuschung gefasst waren und in keiner Bringschuld standen, zeigte doch schon die Tatsache, dass wir zusammen im Studio waren, unsere gemeinsame Zielrichtung.“