Schwester Morphium - MARIANNE FAITHFULLzum Siebzigsten

Am 29. Dezember ist Marianne Faithfull siebzig Jahre alt geworden. Für den ehemaligen Junkie, der mit Alben wie „Broken English“, „Strange Weather“ oder „Before The Poison“, zur eleganten Düsterikone wurde, kein Anlass zum Feiern. Die „Mutter aller Rock-Chicks“ hat in den Sechzigerjahren als erste Frau neben Nico genauso wild gefeiert wie die Rockstars, mit denen sie liiert war. Wir haben sie in ihrer Wahlheimat Paris auf einen Kaffee im Hotel Costes an der Rue Saint Honoré aufgesucht.

Die Faithfull nutzt das Gespräch anlässlich ihres runden Geburtstags, um mit unliebsamen Mythen und Legenden aufzuräumen. „Ich habe fünfzehn Jahre in Irland gelebt, das war toll“, setzt sie an. „Doch irgendwann kam mir die Insel zu klein vor, und ich hatte das Gefühl, dass es an der Zeit ist, in eine echte Metropole zurückzukehren. Wobei ich auf keinen Fall nach London wollte, also ging ich nach Paris. Und ich liebe die Stadt. Hier habe ich alles, was ich brauche, ich habe Freunde, ich bin glücklich.“

Ein Bekenntnis, das aus ihrem Mund irgendwie seltsam klingt. Denn Marianne Faithfull ist nun wirklich kein Mensch, der Zufriedenheit ausstrahlt, im Gegenteil: eine alte, gebrechliche Frau mit Hüftleiden und Hepatitis C, die von jahrelanger, systematischer Selbstzerstörung gezeichnet ist und tiefe Furchen im Gesicht aufweist, deren betörende Schönheit von einst man aber noch erahnt. Damals, in den Swinging Sixties verkehrte die gebürtige Baroness von Sacher-Moser in der Kunstszene, wurde ein Popstar, hatte eine Affäre mit Mick Jagger und versank in einem Sumpf aus Sex und Drogen.

Alles Mythen und Legenden, echauffiert sich die Faithfull, die sich als Opfer der britischen Presse und gesellschaftlicher Doppelmoral sieht: „Ich war nie so wild, wie alle glauben. Seit ich einen Computer habe, lese ich im Internet diese unglaublichen Fantasien, die Leute in Bezug auf mich haben. Obwohl ich ihre Träume nicht zerstören möchte, so stimmen sie doch einfach nicht. Ich habe nie an irgendwelchen Orgien teilgenommen.“

Lest mehr im eclipsed Nr. 187 (02-2017).