SINÉAD O’CONNOR - Wer ist hier der Boss?

25. September 2014

Sinead O'Connor

Das kleine Bray an der Irischen See ist ein Ort nach dem Vorbild klassischer britischer Seebäder. Zwar ohne Pier, dafür mit einer langen Strandpromenade, netten Cafés sowie Busladungen voller Rentner und Familien mit Kleinkindern, die im verhangenen irischen Sommer Seeluft schnuppern wollen. Und die wahrscheinlich gar nicht wissen, an wessen Haustür sie da an der Strand Road, der Hauptverkehrsstraße an der Wasserfront, entlangschlendern. In einem großen, weißen zweistöckigen Gebäude, dessen Winkel in den Rastafari-Farben gehalten sind (auffälliger geht’s kaum), residiert Sinéad Marie Bernadette O’Connor mit ihren vier Kindern. Eine alleinerziehende Mutter, die in Lederhose, T-Shirt, rosa Hausschuhen sowie mit frisch geschorenem Kopf und markanten Gesichtstätowierungen (rote Herzchen auf beiden Wangen) empfängt. Zwar kocht sie Kaffee und erkundigt sich nach Flug und Anreise, doch wirklich herzlich ist sie nicht. Eher misstrauisch und zögerlich. Das Chaos in Küche und Wohnzimmer ist ihr sichtlich unangenehm. Weshalb sie in ihren Rückzugsort im ersten Stock bittet. Einen Raum, der einem fast die Sprache verschlägt: Auf dem Boden eine lose Matratze, überall glimmende Räucherstäbchen, an den pinkfarbenen Wänden hängen E-Gitarren neben überdimensionalen Porträts von Vishnu-Gottheiten, die auch schon mal tantrischen Sex praktizieren, während sich die Zimmerdecke als blauer Himmel mit Schäfchenwolken entpuppt. Sinéad hockt sich im Schneidersitz auf den Fußboden, entzündet die erste von gefühlten zwanzig Duftzigaretten und erklärt den verbalen Schlagabtausch für eröffnet.

eclipsed: Wir sind hier bei dir in Bray. Was hat dich in dieses Küstennest verschlagen?

Sinéad O’Connor: Ich habe diesen Ort schon immer geliebt. Als Kind war ich hier oft zu Besuch, weil meine Mutter einen Freund in der Gegend hatte. Er wohnte mit drei exzentrischen alten Damen in einem Haus am Ende dieser Straße. Das waren seine Tanten, und die waren einfach brillant – fantastische alte Ladies wie aus einem anderen Jahrhundert. Zu Weihnachten feierten sie immer große Feste, bei denen es einen riesigen Tisch voller Süßigkeiten gab. Wobei es egal war, wann man sie besuchte: In diesem Haus bekam man immer alles, was man wollte. Deswegen war Bray immer toll für mich. Ich habe sehr gute Erinnerungen daran.

eclipsed: Im Gegensatz zu Dublin?

O’Connor: Ja, Dublin ist schlimm. Die Leute dort sind gierig, gemein und hinterhältig, nicht so offen und ehrlich wie hier. Wobei ich lange in London gelebt habe, ehe ich wegen meiner Tochter zurück nach Irland musste. Ihr Vater ist Ire, und ich wollte, dass sie in seiner Nähe aufwächst. Für sie wie für meine übrigen Kinder – von denen zwei noch jünger sind – ist das hier geradezu perfekt. Es ist sehr ruhig und auf eine positive Art langweilig. Es gibt nichts Gefährliches, und es sind auch keine Junkies unterwegs. Meine Tochter hat zum Beispiel noch nie getrunken oder geraucht. Und sie hatte bisher nur zwei Freunde, das ist alles. Es ist also ein sehr sicherer Ort. Das ist einer der Gründe, warum ich aus London herauswollte. Wenn Kinder dort das Teenageralter erreichen, ist es fast unmöglich, sie von den Drogen fernzuhalten. Von daher ist das hier wie der Himmel auf Erden. Auch wenn ich eigentlich nicht gerne in Irland lebe und alleine die Vorstellung beängstigend finde. Es ist ein ganz übler Ort, schon immer gewesen. Die Ironie ist, dass meine Kinder hier trotzdem sehr sicher sind.

Lesen Sie mehr im eclipsed Nr. 164 (Oktober 2014).