SWANS - Nun sei bedankt, mein lieber Schwan!

22. Juni 2016

Swans

Nicht in einem anonymen Hotelzimmer oder einem schäbigen Backstage-Kämmerlein eines Clubs sprechen wir mit Michael Gira, sondern im Wohnzimmer von Gitarrist Kristof Hahn, der seit 1989 zum erlauchten Kreis der New Yorker „Destruktiv-Apostel“ („Der Tagesspiegel“) zählt. Da wirkt Gira wie ein lebendes Kunstwerk: ein großer, spindeldürrer Cowboyhutträger, der Kette raucht, schwarzen Kaffee schlürft, gut Deutsch spricht („als Jugendlicher habe ich in einem Sägewerk in Solingen gejobbt“), sein Gegenüber streng fixiert und wahnsinnig viel zu erzählen hat.

eclipsed: Michael, angeblich ist „The Glowing Man“ dein letztes Album mit den Swans. Woran machst du fest, dass es Zeit für etwas Neues ist?

Michael Gira: Ganz einfach: Wenn man 200 Tage im Jahr mit denselben fünf Gentlemen zusammen ist – und das auch noch im engen Tourbus und im Proberaum – kennt man irgendwann jedes Molekül von ihnen, und es gibt kaum noch Überraschungen. Insofern ist es höchste Zeit, da einen Molotowcocktail reinzuwerfen und zu schauen, was als Nächstes passiert.

eclipsed: Obwohl du dieses Line-up als das bislang beste der Swans bezeichnest?

Gira: Das ist es auch. Nur, ich bin lieber an einem unkomfortablen als an einem komfortablen Ort. Das entspricht meiner Natur. Ich bin nicht der Typ, der an etwas festhält, nur weil es gut läuft. Und ich bin ohnehin überrascht, dass die Gruppe so lange durchgehalten hat. Schließlich sind die Swans ein sehr intensives Unterfangen, das einer Menge Kraft bedarf. Und da muss ich mit 62 etwas kürzertreten.

eclipsed: Weil eure Auftritte mehr als nur Konzerte sind?

Gira: Es sind mentale Herausforderungen, die auf vollständiger Konzentration und Hingabe basieren. Wir rezitieren die Songs nicht so, wie sie auf Platte sind, sondern versuchen sie auf eine höhere Ebene zu führen. Und wenn das funktioniert, transportiert es sowohl uns wie den Zuhörer an einen anderen Ort.

eclipsed: Wie kommt es, dass du angesichts der Lautstärke, mit der Swans üblicherweise zu Werke gehen, noch nicht taub bist?

Gira: Ich habe Glück. Gehörschutz zu tragen, ist dasselbe, als würde man sich beim Sex zehn Kondome überstreifen. Es ist dieser Tornado aus Gitarren und Obertönen, der mir zeigt, warum ich auf Erden bin. Sobald er sich aufbaut und zu etwas Größerem wird, birgt er die Antwort auf alle Fragen, die es gibt.

eclipsed: Klingt nach spiritueller Erleuchtung…

Gira: Es ist wie 1969 Pink Floyd zu sehen, nur dass mir das damals noch nicht klar war. Ich war bei diesem Festival in Belgien, auf Acid – ein Hippie, der im Dreck lag. (lacht) Aber es gibt tatsächlich Parallelen, was die Intensität und die Spannung dieses Moments betrifft. Auch Swans sind wie ein Acid-Trip – mit langsamem Aufbau und orgiastischem Höhepunkt.

Lesen Sie mehr im eclipsed Nr. 182 (Juli/August 2016).