Bon Scott zählt sicher zu den individuellsten und stilprägendsten Rocksängern des 20. Jahrhunderts – und das, obwohl seine Zeit bei AC/DC nur wenig mehr als ein halbes Jahrzehnt währte. Allerdings hatte der Hardrockshouter schon vor seinem Einstieg bei der heute legendären australischen Truppe musikalische Spuren hinterlassen: Nach der Auflösung von The Valentines wurde er 1971 Leadsänger der Band Fraternity. Das Boxset „Seasons Of Change – The Complete Recordings 1970-1974“ macht nun erstmals ihr gesamtes Material auf drei CDs zugänglich.
Victor Marshall sieht sehr jung aus – eher wie ein Student als wie ein Entdecker und Bewahrer eines weitgehend vergessenen Kapitels der australischen Musikgeschichte. Zu den aktiven Zeiten von Fraternity spielten seine Eltern wahrscheinlich noch Gummitwist. Mit seiner Frisur, um die ihn Brian Connolly beneiden würde, sieht er trotzdem aus, als wäre er geradewegs aus den frühen 70ern in die Gegenwart gepurzelt. Marshall war die treibende Kraft hinter der Veröffentlichung der Fraternity-Box, die neben den beiden regulären Alben der Band samt Bonustracks auch noch bisher unveröffentlichte Studioaufnahmen enthält, die unter dem Titel „Second Change“ zu einem dritten Album zusammengefügt wurden. Dass es dazu kam, verdankte sich nach seiner Aussage einem Zufall: „Ich half in der South Australian Music Hall of Fame aus. Eines Abends wurden Fraternity aufgenommen. Ich war schon lange ein Fan der Band und hatte Zeitungsausschnitte über sie gesammelt. Als ich sie tatsächlich traf, fragte ich sie über viele Dinge aus, die ich in Büchern gelesen hatte, und sie meinten, das wenigste davon würde stimmen. So begann ich, sie alle zu interviewen. Daraus wurde ein Buch. In diesem Zusammenhang traf ich ihren Manager Hamish Henry, der seinerzeit einer der größten australischen Festivalmacher und außerdem Manager von Focus und den Pink Fairies war. Er hatte viel unveröffentlichtes Material, das nicht einmal die Band selbst kannte. Das war wie ein Traum. Ich wollte der Band ihre Geschichte zurückgeben.“
Zweifellos ein spannendes Projekt für leidenschaftliche Jäger und Sammler, aber wie viele aus der breiten Masse der Musikhörer würden sich heute noch für diese Gruppe interessieren, wäre nicht Bon Scott ihr Sänger gewesen? Auch Marshall räumt ein, dass die Band außerhalb Australiens ohne den berühmten Frontmann komplett vergessen wäre: „Aber Fraternity waren eben nicht nur Bon Scott. Die Talente waren sehr gleichmäßig verteilt. Die Bandleader waren Bruce Howe und Mick Jurd. Damals waren sie Australiens Band Nummer eins. Klar sind sie vor allem als erste Station des späteren AC/DC-Sängers in Erinnerung geblieben. In Australien würde man sich aber auch ohne AC/DC an sie erinnern.“