Wir nähern uns der Apokalypse? Nein, wir sind schon mittendrin. So lautet das Credo der kanadischen Band Godspeed You! Black Emperor, die mit ihrem achten Album „G_d’s Pee AT STATE’S END!“ den Untergang einläutet. Mit eigenen Äußerungen gegenüber der Presse sind Godspeed You! Black Emperor seit jeher sehr zurückhaltend. Doch Ian Ilavsky, Mitgründer des Labels Constellation und enger Vertrauter der Band, gewährt uns Einblicke in die Hintergründe eines Albums, das für GY!BE eine Art Neubeginn ist.
Eine Stimme, die klingt, als käme sie aus dem Weltall … eine Art Countdown, schwer verständlich und sich in elektronischem Klangmüll verlierend. Lost in space – oder ist es das Jüngste Gericht? Aus dem Dröhnen schälen sich eine elektrische Gitarre und ein Cello heraus, bizarr schön und zugleich verwirrend brutal. Auch wenn die musikalischen Koordinaten ganz andere sind, kann man sich an die Wirkung des „21st Century Schizoid Man“ von King Crimson erinnert fühlen. 52 Jahre liegen zwischen dem Song, der die Londoner Prog-Band zur Legende machte, und dem Intro zum neuen Album des Musikerkollektivs aus Montreal.
Starker Tobak
Zwei Longtracks von je 20 Minuten, zwei kürzere Stücke als Flankierungen der langen musikalischen Reisen. Wie gewohnt arbeiten die Kanadier ohne Texte, und wie üblich geben sie keine Interviews. Dafür sorgen sie mit kryptisch anmutenden Statements für Aufsehen, mit denen sie ihre politischen Anliegen festzurren. Sie stellten ihre Kurzwellenantennen auf Empfang und stießen auf dieselben Herolde der Apokalypse wie einst, doch statt „Die Endzeit naht!“ hörten sie diesmal „Die Endzeit ist da!“. Dies veranlasste sie zu folgender Verlautbarung: „Diese Platte handelt von uns allen, die wir auf das Ende warten. Alle gegenwärtigen Formen der Führung haben versagt. Diese Platte handelt von uns allen, die wir auf den Anfang warten, und sie ist von folgenden Forderungen geprägt: Leert die Gefängnisse. Nehmt der Polizei ihre Macht und gebt sie den Vierteln, die von ihr terrorisiert werden. Beendet die immerwährenden Kriege und alle anderen Formen von Imperialismus. Besteuert die Reichen, bis sie arm geworden sind.“
Das ist ohne Frage starker Tobak, aber sie meinen es absolut ernst. Gleichwohl stellt sich die Frage, wie die Band diese Statements in instrumentale Musik umsetzen kann. Natürlich sind die Klänge sehr suggestiv, und doch lassen sie völlig unterschiedliche Assoziationen und persönliche Interpretationen zu. Einer, der Rede und Antwort steht, ist Ian Ilavsky, der zusammen mit Don Wilkie 1997 das in Montreal ansässige Label Constellation Records ins Leben rief, das seitdem als Heimat von Godspeed You! Black Emperor fungiert. Persönlich an zahlreichen musikalischen Projekten beteiligt, ist Ilavsky ein enger Vertrauter der Band, stellt aber zugleich klar, dass er nicht ihr Sprecher ist: „Ich kann darüber natürlich nur aus der Perspektive des Labels sprechen, aber was wir als Constellation Records interessant finden, ist dieser politische Punk jenseits aller Punk-Klischees. Das ist ja weit mehr als eine Attitüde, es ist eine Haltung. Die Musik entzieht sich allen Regeln, bedient sich aber in verschiedensten Genres, zuallererst der ersten Welle des sogenannten Postpunk der späten 70er – und das ohne Texte. Um politisch geladene instrumentale Musik zu machen, greifen sie vorzugsweise auf lange Formate in der Tradition von Genesis oder Pink Floyd zurück. Daher rührt auch die Eindringlichkeit ihrer Liveshows und der Einsatz ihrer 16-Millimeter-Projektionen, die im Hinblick auf politische Aspekte noch ein ganz anderes Niveau in ihre Musik tragen. Es geht der Band in erster Linie um die Musik, und sie lehnen jede Form des Personenkults oder der individuellen Autorenschaft strikt ab.“