NAZARETH - Probezeit bestanden

30. November 2018

Nazareth

NAZARETH - Probezeit bestanden

Selbst wenn Nazareth seit etwa fünf Jahren auf der Bühne ohne ihre Reibeisenstimme Dan McCafferty auskommen müssen, ist die eigentliche Zäsur das neue Studiowerk „Tattooed On My Brain“: Zum ersten Mal in ihrer 50-jährigen Geschichte ist die schottische Band mit einem anderen Sänger als McCafferty ins Studio gegangen. Carl Sentance ist seit gut drei Jahren der neue Frontmann und hat seine Probezeit mit dem Album überaus erfolgreich abgeschlossen. Gründungsmitglied Pete Agnew reckte beim Gespräch beide Daumen nach oben.

Ob und wie eine Band funktioniert, bekommt man während eines der üblichen zwanzig- bis dreißigminütigen Interviews selten heraus. Gerade wenn es sich um in der Öffentlichkeitsarbeit erfahrene Künstler handelt. Diese haben in ihrem Leben schon unzählige dieser Musiker-trifft-Presse-Situationen gemeistert, bei der sie ein neues Produkt abfeiern, das sie wahrscheinlich in einigen Jahren ganz anders beurteilen. Einen tieferen Einblick in die Befindlichkeit von Nazareth bekamen wir im Sommer 2018 an einer Hotelbar während des „Rock of Ages“, als wir die vollzählig angetretenen Nazareth in Feierlaune mit Fish erlebten. Die Musiker lachten und alberten mit dem ehemaligen Marillion-Sänger um die Wette. Allerdings war es uns nur selten möglich, dem Gespräch zu folgen, was die deutsche Frau von Fish bestätigte: „Mach dir nichts draus, ich verstehe auch fast nichts von diesem schottischen Kauderwelsch.“ Aber eines war zu beobachten: Der neue Sänger Carl Sentance fühlte sich sichtlich wohl. Der Waliser, der neben Nazareth noch in der Band von Don Airey singt und in den Achtzigern mit Motörhead-Gitarrist Phil Campbell in der NWOBHM-Truppe Persian Risk agierte, ist kein McCafferty-Klon. Doch trotz seiner individuellen Akzente behalten Nazareth auf „Tatooed On My Brain“, aber auch auf der Bühne, wo sie überwiegend ihre Songklassiker spielen, ihren ureigenen Charakter.

eclipsed: Fühlt es sich noch immer nach Fremdgehen an, wenn du bei Nazareth statt mit Dan mit einem anderen Sänger auftrittst bzw. wie jetzt sogar ins Studio gehst.

Pete Agnew: Nein. Als uns Dan 2013 eröffnete, dass er wegen der Atemwegserkrankung COPD keine Konzerte mehr werde durchhalten können, war das ein Schock. Und ich weiß gar nicht, ob wir ohne Dans Zureden überhaupt weitergemacht hätten. Dass sein Nachfolger Linton Osborne nach kurzer Zeit bei uns wegen einer Stimmbanderkrankung eine Tour absagen musste, war hart. Aber selbst wenn wir noch länger auf ihn gewartet hätten, irgendwie fühlte es sich mit Linton tatsächlich wie Fremdgehen an, auch wenn ich das vor vier Jahren so nicht hätte zugeben wollen. Aber es war definitiv die richtige Entscheidung, die Band mit einem anderen Sänger fortzuführen.

eclipsed: Carl Sentance klingt noch weniger nach McCafferty als Osborne. Dennoch passt er stimmlich sehr gut zu Nazareth. War euch gleich klar, dass ihr mit ihm den richtigen Mann gefunden hattet?

Agnew: Ja. Irgendwer hatte seinen Namen ins Spiel gebracht, und ich sah ihn mir auf YouTube mit der Don Airey Band an. Aber diese Smartphoneaufnahmen sind ja selten wirklich aussagekräftig. Aber mein Interesse war geweckt, ihn selbst live zu sehen. Von da an war ich Sentance-Fan. Sein persönlicher Geschmack geht eher in die Hardrock- und Bluesrockrichtung, und seine Stimme ist mehr Robert Plant als McCafferty. Aber wer hat schon so eine harte, raue Stimme wie Dan?! Ich hatte das Gefühl, der passt zu uns.

eclipsed: Hunderte Shows mit Sentance später stand nun aber die Bewährungsprobe im Studio an.

Agnew: Wir sind live zu einer Einheit zusammengewachsen und konnten beobachten, dass Carl trotz der Unterschiede zu Dan von den Fans akzeptiert wird. Es war ungewöhnlich, nicht mit Dan, sondern mit Carl an den Songs zu arbeiten, aber es fühlte sich gut an. Carl bringt seine Stimme und Ideen ganz selbstverständlich mit ein, und ich finde das Ganze klingt nach Nazareth.

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