IAN ANDERSON - Tull grenzenlos

24. April 2014

Ian Anderson Jethro Tull

Zum dritten und definitiv letzten Mal nach den beiden „Thick As A Brick“-Alben lässt Ian Anderson mit „Homo Erraticus“ (Review in eclipsed 4/2014) sein Alter Ego Gerald Bostock zu Wort kommen. Dieser bezieht dabei wieder Stellung zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen. Warum ihn derzeit besonders das Thema Migration bzw. Immigration umtreibt, erzählt der Jethro-Tull-Chef im eclipsed-Interview.

eclipsed: Ist „Homo Erraticus“ dein bislang politischstes Album?

Ian Anderson: Nun, ich würde nicht sagen, dass es ein politisches Album ist. Ich denke, es geht darin um Dinge, die zurzeit politisch relevant sind. Es geht um den Homo Erraticus, den wandernden Menschen. Es handelt von der Geschichte der Migration unserer Spezies, von der letzten Eiszeit bis in die Zukunft. Es geht um die Völkerwanderungen, in denen Menschen immer dorthin gegangen sind, wo sie besser leben konnten. Wir denken, dass es bei Völkerwanderung immer um Afrikaner geht, die versuchen, in Gummibooten das Mittelmeer zu überqueren. Was aber, wenn das nicht so bleibt? Zeitgeschichtlich gesehen wären wir eigentlich mit einer weiteren Eiszeit dran. Wenn das passieren sollte, dann hast du es mit siebzig Millionen Briten zu tun, die an deine Tür klopfen und sagen: „Uns ist kalt!“. Wir müssen uns endlich klarmachen, dass wir diesen Problemen nicht entkommen können. Der größte Fehler ist zu glauben, dass unsere Politiker das in Ordnung bringen. Politiker denken nur in Zwei- oder Vierjahresabschnitten, je nachdem wie lange die Legislaturperiode dauert.

eclipsed: Hättest du anders reagiert auf die Bedrohungen, auf die „Leichen im Keller“, als die du sie im Song „Cold Dead Reckoning“ bezeichnest?

Anderson: Wir müssen längerfristig denken. Es ist doch eine Farce, dass Leute immer noch glauben: „Na ja, in fünfzig Jahren bin ich sowieso tot, und deswegen interessiert es mich auch nicht“. Das ist doch die Haltung unserer Politiker. Deren Gedanken müssen wir beeinflussen. Wenn wir diese Politiker immer wieder aufrütteln und ihnen klarmachen, dass wir das angehen wollen, werden sie es tun. Wenn wir das mit Texten zu einem Rockalbum machen können, ist das doch ein Anfang.

eclipsed: Siehst du weitere Leichen im Keller?

Anderson: Die anhaltende Bedrohung durch religiöse Fanatiker. Ich fürchte, der Aufstieg von radikaleren religiösen Ansichten wird weitergehen. Ich bin kein Christ. Ich könnte wohl ein Christ sein, sogar ein sehr effektiver, und ich wäre glaubwürdig. Aber ich habe da ein Problem: Mir gefällt alles im Christentum, bis auf diese Jesus-Geschichte. Ich singe über Jesus auf dem neuen Album als „Puer Ferox Adventus“ – die Ankündigung eines wilden Knaben. Ich singe über Jesus, den wütenden Reformer und Revolutionär, nicht über die brüderliche Figur, die Peace & Love predigt und dann als Märtyrer stirbt.

Lesen Sie mehr im eclipsed Nr. 160 (Mai 2014).