Dem Besitzer einer Diskothek in Philadelphia ist der erste Vollkontakt von Minimal Music und populärer Musik zu verdanken. Dieser beauftragte 1968 den Minimal-Music-Pionier Terry Riley damit, eine Art Erkennungsmelodie für seinen Nachtclub zu komponieren. Doch statt etwas Eigenes zu schreiben, nahm sich Riley eine gerade veröffentlichte R’n’B-Nummer vor und drehte sie auf links: Er setzte Harvey Avernes dreiminütiges „You’re No Good“ mithilfe von Tonbandgeräten und einem Sinuswellengenerator völlig neu zusammen. Am Ende stand ein 21-minütiger Freak-out – der erste Remix in der Pop-Geschichte. Riley hatte das soulige Ausgangsmaterial in eine psychedelische Toncollage verwandelt, in der sich Strophe und Refrain ineinander verschlingen, der Refrain stakkatohaft hintereinander montiert ist und die Gesangsspuren vervielfacht und wie bei einem Kanon zeitversetzt angeordnet sind. Auch elektronisches Rauschen sowie das Geräusch des spulenden Tonbandes fanden Eingang in die Bearbeitung. Notiz von dieser bahnbrechenden Arbeit nahm freilich niemand.
Die Minimal Music oder Repetitive Musik, die sich seit Anfang der 60er vor allem in New York entwickelte, hatte bis zu Rileys Pop-Flirt vorwiegend in Lofts, Galerien und als Soundtrack von Experimentalfilmen stattgefunden. Sie richtete sich an ein kulturbeflissenes Publikum. Minimal Music war gerade in ihren Anfängen ein radikaler Entwurf. Junge US-Künstler kappten die Verbindung zur europäischen Musiktradition und deren Konzentration auf Harmonie und Melodik. Neue Horizonte taten sich für sie auf anderen Kontinenten auf. So studierten sie etwa die indische Klassik oder die Musik Westafrikas und Balis. Einer dieser Suchenden, La Monte Young, wurde Schüler des indischen Sängers Pandit Pran Nath (1918-1996); Young führte diesem wenig später einen weiteren Adepten zu: Terry Riley, der zu diesem Zeitpunkt bei CBS unter Vertrag stand und bereits das gefeierte Werk „A Rainbow In Curved Air“ veröffentlicht hatte, ließ alles stehen und liegen und folgte dem Meister nach Indien.
Wiederholung einfacher Grundmuster
Eines der charakteristischsten Merkmale, die Komponisten wie Young und Riley für ihre Arbeitsweise übernahmen, war das der Wiederholung einfacher Grundmuster, sogenannter Patterns. Bei Young und Riley nur am Anfang ihrer Karriere besonders ausgeprägt, experimentierten Steve Reich und Philip Glass sowie nachfolgende Vertreter dieser durchaus uneinheitlichen Bewegung, darunter David Borden, Tom Johnson und Jon Gibson, beinahe obsessiv mit dem Element der Wiederholung.
Besonders dieses Element war es, was die populäre Musik auf das avantgardistische Treiben der Studierten aufmerksam werden ließ. Die erste Rockband, die nachweislich von Techniken der Minimal Music Gebrauch machte, war The Velvet Underground. John Cale, Klangarchitekt ihrer revolutionären ersten beiden Platten, hatte noch bis Mitte der 60er elektrische Bratsche bei La Monte Youngs berüchtigten Feedback-Improvisationen gespielt. Daher waren die Velvets noch mehr von der radikalen Ästhetik des frühen Young-Werks, von seiner maschinenartigen Rhythmik, die sogar auf den Industrial-Rock vorauswies, geprägt als von den Repetitionsexzessen eines Steve Reich.
Auch die Musiker des Krautrock erkannten rasch, welche Sprengkraft der Minimalismus besaß. Bands wie CAN oder Faust adaptierten die monotonen Rhythmen der Repetitiven Musik. Es waren aber vor allem die Pioniere der elektronischen Ausrichtung des Krautrock, die sich den klanglichen Ausdrucksmöglichkeiten hingaben. Nicht zuletzt deshalb, weil ihre US-Kollegen früh auf elektronische Klangerzeuger setzten. So nimmt etwa der Synthesizer eine zentrale Rolle im Werk von Glass und Riley ein. In Arbeiten von Tangerine Dream („Ricochet“, „Stratosfear“), Popol Vuh („Brüder des Schattens – Söhne des Lichts“), Klaus Schulze („Mirage“, den Wahnfried-Alben, „Kontinuum“) oder Neu! („Neu!“) sind die Einflüsse klar auszumachen. Von Neu!, Kraftwerk und Manuel Göttschings „E2-E4“ gingen die minimalistischen Impulse in den 80er-Jahren schließlich geradewegs auf die Bilderstürmer des Techno über, der ohne die Minimal Music schlicht nicht denkbar wäre.