NEIL YOUNG - Der Unbeugsame

22. Oktober 2015

Neil Young

Im Septemberheft haben wir noch seinen Feldzug gegen den Saatgut-Riesen Monsanto thematisiert. Doch Neil Young hat bereits wieder das Schlachtfeld gewechselt. Sein jüngstes Scharmützel trägt er mit Donald Trump aus. Der US-Milliardär und erzkonservative Präsidentschaftsbewerber hatte sich Youngs Ärger zugezogen, weil er seinen Song „Rockin’ In The Free World“ während der öffentlichen Ankündigung seiner Kandidatur laufen ließ – durchaus legal, wie der Geschäftsmann genüsslich twitterte: Sein Büro hatte die Nutzungsrechte für einen Tag bei ASCAP, vergleichbar mit der GEMA in Deutschland, erworben. Dazu verbreitete Trump per Internet ein Foto, das ihn gemeinsam mit dem streitbaren Kanadier zeigt: Young hatte vor ein paar Monaten bei dem Immobilientycoon wegen finanzieller Unterstützung seines Online-Musikdienstes Pono vorgesprochen und sich dabei mit diesem ablichten lassen. Musik sei eine universelle Sprache, schrieb er Trump ins Stammbuch, und er habe nichts dagegen, wenn Leute, die seine Überzeugungen nicht teilten, seine Lieder gut fänden: „Aber wenn ich um Erlaubnis gefragt würde, würde ich niemals einen meiner Songs einem Kandidaten zur Verfügung stellen.“ Im Übrigen sei er Kanadier und wähle deshalb gar nicht in den Vereinigten Staaten: „Aber was viel wichtiger ist: Ich mag das politische System in den USA und in einigen anderen Ländern überhaupt nicht.“ Allerdings unterstützt er die Bewerbung des Demokraten Ben Sanders, und dem erlaubte er auch, entgegen seiner Aussage wenige Tage zuvor, „Rockin’ In The Free World“ während einer politischen Veranstaltung zu verwenden – eine der überraschenden Pirouetten, die Young während seiner langen Karriere vollführt hat.

Doch die werden ihm von seinen Anhängern stets verziehen, weil sie nicht davon ablenken können, dass er seit den Sechzigerjahren als aufrechter Ritter Neil gegen die Ungerechtigkeiten dieser Welt ansingt. Der Buffalo-Springfield-Titel „For What It’s Worth“, von der Festnahme junger Demonstranten in Los Angeles inspiriert, stammte noch aus der Feder von Stephen Stills; Young thematisierte dann 1970 mit „Ohio“ einen Vorfall, bei dem die Nationalgarde des Bundesstaats am 4. Mai desselben Jahres an der Kent State University vier unbewaffnete Studenten tötete und neun weitere schwer verletzte. Obwohl die Einheit nicht unter dem Befehl der US-Regierung, sondern unter dem des Gouverneurs von Ohio stand, schrieb Young die Zeile „Tin soldiers and Nixon are coming“ – mit der Folge, dass viele Radiostationen die mit Stills, David Crosby und Graham Nash eingespielte Single aus dem Programm nahmen. Verhindern, dass der Titel die Top 20 der Billboard-Charts erreichte, konnten sie mit dem Boykott freilich nicht. Crosby betonte später in einem Interview, Youngs Beharren auf der Nixon-Zeile in „Ohio“ sei „eine der mutigsten Entscheidungen“ gewesen, von der er je gehört habe.

Alabama on my mind

Musikalische Stellungnahmen zu politischen, sozialen und umweltrelevanten Themen ziehen sich wie ein roter Faden durch das Werk dieser komplexen Künstlerpersönlichkeit. Und Young hat stets mit Wonne polarisiert. Mit der Nummer „Alabama“ von „Harvest“ etwa, das gerne mal als Popscheibe einsortiert wird, prangerte er die Praxis der Rassentrennung in den Südstaaten an. Die Southern-Rock-Band Lynyrd Skynyrd reagierte darauf (und auf Youngs „Southern Man“) mit dem patriotischen Lied „Sweet Home Alabama“, was Young nicht daran hinderte, den Titel hin und wieder selbst auf der Bühne zu spielen, während auf der anderen Seite Mitglieder von Lynyrd Skynyrd mit Young-Tourshirts auftraten. Den „Vampire Blues“ haute er auf „Out On The Beach“ (1974), dem mittleren Album der von Fans so genannten „Ditch Trilogy“ (etwa: Trilogie zum in die Tonne kloppen; dazu zählten wegen ihres bescheidenen kommerziellen Erfolgs noch „Time Fades Away“ und „Tonight’s The Night“), schon 1974 der Ölindustrie um die Ohren. Es ist eine schier unendliche Reihe, die sich bis zu „The Monsanto Years“ zieht und die hier sicherlich nicht endet: Wenn er zürnt, macht ein Neil Young vor nichts und niemandem Halt!

Und das kommt nicht selten vor: George W. Bush, der die USA in den zweiten Irakkrieg führte und der mit einer angemessenen Reaktion auf die verheerenden Folgen des Hurrikans „Katrina“ in New Orleans völlig überfordert schien, wünschte er 2006 mit „Let’s Impeach The President" die Amtsenthebung an den Hals. Das gesamte Album „Living With War“ wurde zur Abrechnung mit der Politik des damaligen US-Präsidenten. Young, der die Texte für überparteilich hält, betonte: „Wenn man Bush rausschmeißt, tut man den Republikanern einen großen Gefallen; sie könnten dann mit Stolz weitermachen.“ Im gleichen Interview mit der „New York Times“ bedauerte er, dass es keine jungen Künstler in den Staaten gebe, die Songs über die US-Politik im Repertoire hätten: „Ich sehe niemanden, deshalb habe ich das Lied selbst gesungen. Ich habe so lange gewartet wie möglich.“ Das Album, zu dem ihn Zeitungsfotos verwundeter US-Soldaten auf dem Transport nach Deutschland getrieben hatten und das innerhalb eines knappen Monats im Kasten war, beschloss er mit dem patriotischen „America The Beautiful“. Wie sehr ihn die Thematik beschäftigte – angeblich brach er beim Anblick der Fotos in Tränen aus –, zeigt die Tatsache, dass er jedes Lied, an dem er die Arbeit beendet hatte, gleich ins Netz stellte, bevor „Living With War“ komplett fertig und erhältlich war.

„Unverantwortliche Äußerungen“

Gegenüber Bushs Vater („manchmal mag ich ihn, manchmal nicht“) und dessen Vorgänger im Präsidentenamt, Ronald Reagan, war Young dagegen zurückhaltender, um nicht zu sagen deutlich freundlicher. Er sei nie ein Unterstützer Reagans gewesen, habe aber einige seiner Ideen für richtig gehalten – zum Beispiel dessen Aufforderung, dass Menschen in den Gemeinden und Nachbarschaften, um ihre Ziele zu erreichen, sich zusammentun und sich nicht so sehr auf die Regierung verlassen sollten. Auf der anderen Seite: „Reagan hat fürchterliche Dinge getan, etwa indem er riesige Raketen- und Sprengkopfarsenale schuf. Die braucht kein Mensch.“

Vehement setzt sich der auf seiner nach einem Song von Buffalo Springfield benannten Broken Arrow Ranch in Kalifornien lebende Mann aus Ontario gegen die Keystone XL Pipeline von Alberta nach Texas ein. Deren Auswirkungen auf die Umwelt verglich er schon mal mit den Folgen des Atombombenabwurfs auf Hiroshima; der Kohldioxidausstoß als Nebenprodukt der Ölbohrungen sei so hoch wie der aller in Kanada zugelassenen Autos zusammengenommen, schimpfte er. Kritik vonseiten der Petroleumindustrie, Youngs Äußerungen seien unverantwortlich, konterte er mit seinem Titel „Who’s Going To Stand Up?“ und den Zeilen „Ban fossil fuel and draw the line/Before we build one more pipeline“ – Worte, die er so ähnlich auch bei öffentlichen Reden zu diesem Thema wählt. Dabei macht Young auch nicht vor der Regierung seines Geburtslandes Halt: Premierminister Stephen Harper sei nur noch peinlich und „eine ärmliche Kopie der George-Bush-Administration“. Und auch der aktuelle US-Präsident bekam im vergangenen Jahr sein Fett weg: Barack Obama müsse seines Amtes enthoben werden, weil er Fracking, die umstrittene Methode zur Suche nach Erdgaslagerstätten, im Golf von Mexiko erlaubt und überhaupt seine umweltpolitischen Versprechen aus seinen Wahlkämpfen nicht erfüllt habe: „Hallo, Barack! Wach auf, Kollege!“

Lesen Sie mehr im eclipsed Nr. 175 (November 2015).