PENDRAGON - Befreiendes aus dem Schmollwinkel

25. Mai 2016

Pendragon

Neoprog erlebte seine Blütezeit Mitte der Achtzigerjahre. Aus dieser Zeit stammen die Referenzwerke des Genres, das den melodischen Prog der Siebziger wieder aufnahm und in eine neue, modernere (bei manchen Bands auch: kitschigere) Form goss. Einige wenige Acts wie Pallas oder Marillion ergatterten Majordeals, letztere füllten sogar die großen Hallen. Doch dieses Hoch hielt nicht lange an: Nur zehn Jahre später hießen die MTV-Stars Oasis, Spice Girls und Jamiroquai, im Radio liefen „Killing Me Softly“ von den Fugees und Alanis Morissettes „Ironic“. Prog und Neoprog galten in der Rockszene der Neunziger als extrem uncool und fristeten zunächst wieder ein Mauerblümchendasein.

Ausgerechnet in dieser Zeit, in der sich ein ganzes Genre in die Schmollecke gedrängt sah, trauten sich langsam aber sicher einige neue Bands an die Oberfläche (u. a. Jadis, Enchant, Aragon), die Helden der Achtziger feierten beachtenswerte Comebacks (IQ, Pallas). Und Pendragon? Im Jahr 1996 veröffentlichten sie ihr vielleicht bedeutendstes Album, eines, das – bei ordentlichen Verkaufszahlen – qualitativ aus der Masse hervorstach und sich in die Liste der populärsten und wichtigsten Neoprogalben einreihte: „The Masquerade Overture“. Zwanzig Jahre nach Erscheinen kann man mit Fug und Recht sagen: Diese Platte hat die Zeit überdauert und gehört neben den Topalben von Marillion und IQ zu den Marksteinen des Genres.

Wie gesagt, Prog spielte 1996 keine große Rolle in der öffentlichen Wahrnehmung. Pop, Electro, Nu Metal und R’n’B überstrahlten alles. Neoprog war bestenfalls ein Nischenprodukt, etwas für wunderliche Typen mit einem noch wunderlicheren Musikgeschmack. Auch für Pendragon-Mastermind Nick Barrett, der sich nie um musikalische Moden scherte und immer sein Ding durchzog, kam der Über-Nacht-Erfolg von „Masquerade“ deshalb überraschend. Umso erstaunlicher die Geburt dieses Albums, das sich dem Zeitgeist komplett verweigerte und stattdessen jene Progklischees bediente, denen der Stempel der Gestrigkeit anhaftete: Kaum Dreck unter den Fingernägeln, stattdessen satte Keyboardflächen, harmonieselige Melodien, fast schon zu perfekte Hooklines, ein ordentlicher Schuss Bombast und Zuckerguss sowie eine geschliffene Produktion.

Welcher Coup ihm da mit seiner Band gelungen war, ahnte Barrett in jenem Sommer in seinem Haus in Maidenhead. Das Album war gerade auf dem gruppeneigenen Label Toff Records erschienen, als sich die Bestellungen türmten. „Wir bekamen Zehntausende Bestellungen rein. Es war enorm stressig, da wir die CDs alle einzeln bestückten und verpackten“, erinnert sich Barrett. 25.000 Stück gingen in der ersten Fuhre raus, weitere 25.000 Bestellungen sollten folgen. Insgesamt verkauften Pendragon von „The Masquerade Overture“ über 60.000 Einheiten – genug, um ihnen den Ruf als eine der letzten Überlebenden einer aussterbenden Gattung einzubringen.

Lesen Sie mehr im eclipsed Nr. 181 (Juni 2016).