Wer mit Steve Hackett über Musik redet, sollte viel Zeit mitbringen. Der Ex-Genesis-Gitarrist hat keine vorbereiteten 08/15-Statements parat. Der 67-Jährige beantwortet alle Fragen ausführlich, schweift dabei gerne mal ab und kommt vom Hundertsten ins Tausendste. Kein Problem! Das eclipsed-Interview nutzt er nicht nur zur Promotion seines neuen Studioalbums „The Night Siren“. Der Zustand der Welt, die er am Abgrund sieht, ist ihm besonderes Anliegen. Fremdenhass, Engstirnigkeit und der autokratische Führungsstil von Leuten wie Donald Trump sind ihm ein Gräuel, und das spricht er offen aus. Und einmal in Fahrt, bekommen auch einige seiner Ex-Genesis-Kollegen einen mit…
eclipsed: Wir erreichen dich in den USA, wo ihr bereits ein paar Shows der aktuellen Tour hinter euch habt. Wie ist es gelaufen?
Steve Hackett: Sehr gut, danke! Wir haben zwei Konzerte in Nashville und eins in Ithaca [Bundesstaat New York; Anm.] gespielt. Vorher sind wir schon zweimal auf dem Schiff der „Cruise To The Edge“ aufgetreten. Es lässt sich sehr gut an.
eclipsed: Nach mehr als fünfundvierzig Jahren im Business und vierzig Jahren Solokarriere: wie siehst du die Entwicklung, die du mit deiner Musik genommen hast?
Hackett: Meine Musik ist heute mannigfaltiger als zu Beginn meiner Solokarriere. Es ist nicht mehr nur Rockmusik, sondern es spielen nun hier und da andere Genres hinein. Anfangs habe ich da schärfer getrennt. Inzwischen bin ich zu der Einsicht gekommen, dass man die Genres mehr und mehr vermischen kann. Es ist, wenn du so willst, eine Musik ohne Regeln, mit vielen Überraschungsmomenten. Ich habe gerade auch live wirklich viel Spaß an der Abwechslung, auch wenn es wahnsinnig fordernd ist, wenn man ständig in unerwartete, unentdeckte Gefilde vorstoßen will. Die Shows und auch die tollen Konzerthallen kann ich heute viel mehr genießen, ich gehe viel entspannter auf die Bühne. Das ist wunderbar.
eclipsed: Dein neues Album „The Night Siren“ hattest du im Vorfeld als „Weckruf“ postuliert. Was genau meinst du damit?
Hackett: Richtig. An der Platte waren zwanzig verschiedene Künstler aus allen Teilen der Welt beteiligt – Musiker aus Peru oder Aserbeidschan spielen mit Musikern aus Island oder Ungarn, Schweden und Palästinenser mit Amerikanern und Briten. Alle gemeinsam haben versucht, eine Platte aufzunehmen, die ein Friedensalbum sein soll. „West To East“ enthält eine klare Friedensbotschaft, „Behind The Smoke“ beschäftigt sich mehr mit Zerstörung und der Flüchtlingsproblematik. Die Welt ist am Abgrund. Wir erleben gerade einen großen Wendepunkt. Deshalb sage ich: lasst uns nicht in eine Wagenburgmentalität verfallen. Wenn wir das tun, sind wir verloren.
eclipsed: Woran denkst du? Die Brexit-Entscheidung? Das Aufkommen rechter, antidemokratischer Parteien und Strömungen?
Hackett: Ich bin sehr besorgt wegen des Brexit. Viele Leuten denken, das ist die Lösung, aber das ist es nicht: Es ist ein Problem. Es darf nicht zum europäischen Bruch kommen, denn es gibt viele Leute, die nicht erkennen, dass Leute wie Le Pen die Probleme nicht werden lösen können. Sie fachen nur die Feuer an. Zur Hölle mit dem Nationalismus! Wir leben inmitten einer verrückten Zeit. Schau nur nach Amerika. Die Presse ist schon kritisch gegenüber der Trump-Administration. Aber Trump stellt die freie Presse infrage, er beschuldigt alle und jeden – die Medien, die Justiz. Die Menschen sind leider wie Lemminge, die letztlich in ihr eigenes Verderben stürzen. Die freie Welt, alle ihre Errungenschaften wie die Bürgerrechte in Amerika, sind bedroht. Wir müssen sehr vorsichtig sein.