UDO LINDENBERG - Mann mit Hut

20. April 2016

Udo Lindenberg

Man kann heute zu Udo Lindenberg stehen wie man will. Es gibt tausend Gründe, ihn zu lieben, genauso viele, ihn zu hassen, ignorieren aber kann man das Phänomen „Udo“ nicht. Für die einen ist er nach wie vor der Deutschrocker Nr. 1, die personifizierte Coolness, die alle äußeren Einflüsse an sich abprallen lässt und genau „sein Ding macht“. Andere sehen ihn als eine Kunstfigur, die sich hinter sich selbst versteckt, eine Mumie des Schlagerpops mit alternativem Anstrich, eine Selbstkarikatur mit Sonnenbrille, Hut, Zigarre und dicker Lippe.

Auf jeden Fall gehört Udo Lindenberg zu den großen Autoritäten der deutschen Sprache. Denn Deutsch zu singen war verpönt in der Bundesrepublik, die sich anno ’72 zwischen Rhein und Elbe zwängte und noch nicht bis an die Oder reichte. Deutsch war das Idiom des Schlagers, und Schlager ging gar nicht. In der DDR hingegen wurde ausschließlich Deutsch gesungen, nicht weil die Kids – Entschuldigung, die Halbstarken – es damals so gewollt hätten, sondern weil es von der Regierung des Arbeiter-und-Bauern-Staates so vorgegeben war. Deutsch war die Sprache des Miefs, die mauerübergreifend zwischen CDU und SED aufgehängt war und sich deshalb doppelt verbot.

Und dann kam Udo Lindenberg 1972 mit seinem zweiten Album „Daumen im Wind“. Der Titelsong und seine Nuschelhymne „Hoch im Norden“ waren Ausdruck einer kreativen Totalverweigerung. Wenn man die Platte aus heutiger Lebensperspektive hört, mag man sich fragen, was da eigentlich dran war. Banale Texte, beiläufig arrangiert und auf eine Weise gesungen, als müsste Herr L. mal aufs Klo. Aber genau das war das Besondere. Udo Lindenberg gaukelte keine heile Welt à la „Knallrotes Gummiboot“ vor. Seine Songs waren der Soundtrack zu einer entschleunigten Zeit, die deshalb so viel subversives Potenzial entfaltete, weil im Grunde alles kotzlangweilig war. Das war eine Zeit, in der sich der linksintellektuelle Jugendliche noch schwertat, sich zu deutschen Werten – wie auch immer man die benennen will – zu bekennen. Im Osten war es das progressive Erbe der Arbeiterklasse, im Westen der Nachhall der Wirtschaftswundereuphorie, beides durchsetzt von Goethe, Schiller, Schubert und Beethoven.

Lesen Sie mehr im eclipsed Nr. 180 (Mai 2016).