Kategorie: CD-Reviews | Genre: Avantgarde, Postrock, Wall Of Sound, Jazz/Jazzrock/Fusion | Heft: Jahrgang 2014, eclipsed Nr. 161 / 6-2014 | VÖ-Jahr: 2014 | Wertung: 9/10, Album des Monats | Label: Rune Grammofon | Autor: MaB
In der Literatur, in der Malerei und auch im Film wird das Motiv des Mahlstroms gerne bemüht, um einen Wasserwirbel zu beschreiben, der alles unbarmherzig in die Tiefe zieht. Nicht so bekannt dagegen ist, dass es für diesen furchterregenden Strudel, der in Jules Vernes Roman „20.000 Meilen unter dem Meer“ und Edgar Allan Poes Erzählung „Hinab in den Maelström“ thematisiert wird, ein reales Vorbild gibt: den Moskenstraumen, der zwischen den norwegischen Lofoten-Inseln liegt. Einer, der darüber sicherlich Bescheid weiß, ist der 35-jährige Gitarrist und Sänger Stian Westerhus, der selbst aus Norwegen stammt und auf seinem Album „Maelstrom“ mit Hilfe von Keyboarder Øystein Moen und Ex-Madrugada-Drummer Erland Dahlen eine unglaubliche Sogwirkung auslöst, der man sich nicht entziehen kann. Die sieben Titel summieren sich dabei zum Porträt eines Künstlers, der keine Berührungsängste kennt: Nachdem Westerhus als Kind von Mike Oldfield und Jimi Hendrix fasziniert war, fand er über King Crimson den Zugang zum Prog und zum Jazz. „Maelstrom“ ist nun der Höhepunkt dieser Entwicklung, da Westerhus hier seinen improvisatorischen Ansatz in den Kontext traditioneller Songstrukturen stellt – und dabei auf ganzer Linie überzeugt. „Don’t Say That You Care“ beginnt als innig-schräger Kammerpop, in den sich kleine Klangdetonationen mischen. Trotz der experimentellen Ausrichtung wird dieses Stück von Westerhus’ herzerweichendem Gesang zusammengehalten, der an den melancholischen Tonfall des großen Scott Walker erinnert. Meisterlich ist auch, wie sich Schlagzeuger Erland Dahlen unbemerkt ins Geschehen einschaltet und dann die Musik so lange antreibt, bis Westerhus seine Stimme in schwindelerregende Höhen emporsteigen lässt und ein orgiastisches Finale einleitet. Nicht minder faszinierend ist das trippige „Nights And Sleepless Days“, wo Westerhus erst ein Gefühl von Schwerelosigkeit erzeugt, bevor er eine New- Artrock-Klangmauer aufbaut und den Song in einer langgezogenen Reminiszenz verglimmen lässt. Daneben verbergen sich auf „Maelstrom“ noch diverse andere Anspieltipps: Auf „On And On“ wird mit Glockenspielklängen die Sigur-Rós-Fraktion bedient, während „Chasing Hills“ auch weltoffenen Coldplay-Fans zu empfehlen ist. Richtig unheimlich wird es beim abschließenden Titelstück, wo die drei Musiker Experimental-, Noise- und Jazzrock kombinieren und dennoch einige wunderbare Melodien unterbringen. Stian Westerhus hat einmal gesagt: „Wenn man nicht 101 Prozent gibt, wird es nie gut genug sein“. Bei „Maelstrom“ haben er und seine Band Pale Horses definitiv alles und noch mehr gegeben.
Top-Track: Don’t Say That You Care