BOB DYLAN - Legende mit vielen Facetten

10. August 2020

Bob Dylan

BOB DYLAN - Legende mit vielen Facetten

Bob Dylan ist zurück. Acht Jahre nach „Tempest“, seinem letzten Album mit eigenen Songs, präsentiert der Nobelpreisträger scheinbar aus dem Nichts heraus ein neues Werk, mit dem kaum noch jemand gerechnet hatte. „Rough And Rowdy Ways“ ist, nach drei ermüdenden American-Songbook-Alben, auch eine qualitative Überraschung: ein vielschichtiges, rundum gelungenes Alterswerk eines ewig Junggebliebenen.

Als Bob Dylan am 27. März, in der Hochphase des länderübergreifenden Corona-Lockdowns, einen neuen Song ins Netz stellte, wurde dies weltweit in den Medien als Sensation gefeiert. Dies lag nicht nur daran, dass „Murder Most Foul“ das erste selbstgeschriebene Stück war, das er seit acht Jahren veröffentlicht hatte. Der Talking Blues handelt vordergründig von der Ermordung John F. Kennedys im Jahr 1963, stellt darüber hinaus aber eine Hommage an ein vergangenes Amerika und vor allem seine Musik dar – eine fast 17 Minuten lange Reise in eine verklärte Vergangenheit, die wie ein Gespenst über der Gegenwart liegt. Im zweiten Teil des Songs beschwört Dylan den legendären DJ Wolfman Jack, doch all jene Stücke zu spielen, die das Land geprägt und gezeichnet haben, von alten Blues- und Jazzklassikern bis hin zu den Eagles und Fleetwood Mac.

In seinem ersten Interview seit 2018, das Mitte Juni in der „New York Times“ erschien, betonte der große Rätselschmied allerdings, dass das Stück für ihn keineswegs nostalgisch sei: „Ich sehe ‚Murder Most Foul‘ nicht als Glorifizierung der Vergangenheit oder eine Art Abschiedsgruß an ein verlorenes Zeitalter.“ Er glaube aber, dass Menschen seines Alters die Neigung hätten, in der Vergangenheit zu leben und die Entwicklungen der Gegenwart mit Besorgnis zu betrachten, während die Jugend gar keine Vergangenheit habe, sondern nur das Hier und Jetzt kenne. „Was die Technik angeht: Sie macht jeden verwundbar“, ergänzt er. „Aber so sehen junge Leute das nicht. Es ist ihnen völlig egal. Unsere hochtechnisierte Gegenwart ist die Welt, in die sie hineingeboren wurden. Unsere Welt hingegen ist schon längst obsolet.“ Was natürlich nichts daran ändert, dass viele sich nur allzu gern an die subjektiv als golden wahrgenommene Vergangenheit erinnern, als Musik noch die Wunden einer Nation zu heilen imstande schien. Ist „Murder Most Foul“ aber vielleicht gar kein Song über Kennedy, sondern über die Trump-Jahre? Oder gar über die Welt während der Corona-Krise, wie voreilige Kritiker zunächst vermuteten?

Leider stellte der Geschichtsprofessor Douglas Brinkley, der das Interview führte, diese Fragen nicht – oder Dylan wollte sie nicht beantworten. Im März hatte der Musiker „Murder Most Foul“ jedenfalls noch als Geschenk an seine treuen Fans in einer schweren Zeit bezeichnet, und zunächst ging auch entgegen den Trump- oder Corona-Theorien das Gerücht um, der Song sei ein Outtake aus einer früheren Session und habe schon viele Jahre auf dem Buckel. Vielleicht stimmt das ja sogar. Einen Monat später, am 17. April, erschien dann ein weiterer, nicht weniger gelungener neuer Song mit dem vielsagenden Titel „I Contain Multitudes“ – eine deutliche Anspielung auf den Mythos der ewigen Maske, die der Künstler nach dem Urteil vieler Dylan-Experten Zeit seines Lebens getragen hat, um sein Publikum ein ums andere Mal zum Narren zu halten ...

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