Wo soll man anfangen, wenn man über Chick Corea schreibt? Er war im wahrsten Wortsinn ein Jahrhundertkünstler, auch wenn sich der kleine Mann mit dem Schnauzbart und den munteren Mausaugen nie in den Vordergrund gedrängt hat. Die kürzlich erschienene Compilation „The Montreux Years“ (BMG/Warner) enthält insgesamt acht Tracks des im Februar letzten Jahres verstorbenen Pianisten, die zwischen 1988 und 2010 bei Auftritten auf dem berühmten Jazzfestival aufgenommen wurden. Doch seine Jahrzehnte währende Gipfelwanderung begann schon viel früher.
Bereits mit seinen ersten beiden Alben „Tones For Joan’s Bones“ und „Now He Sings, Now He Sobs“ (beide 1968) versetzte Armando Anthony „Chick“ Corea, damals gerade Mitte zwanzig, seine Hörerschaft in helle Aufregung. Denn egal, ob er Standards oder Eigenkompositionen spielte, seine Tastenerzählungen schienen von einem anderen Planeten zu stammen als das, was man sonst im Jazz hörte. Das mag wohl auch Miles Davis bewogen haben, den Fingerflitzer als Ersatz für Herbie Hancock in seine Band zu holen. An der Transformation seines akustischen Quintetts in die stilprägendste Band des elektrischen Jazz hatte Corea entscheidenden Anteil, und seine Cluster auf dem E-Piano gruben sich ins kollektive kulturelle Gedächtnis ein. Zur selben Zeit wirkte er aber u. a. mit dem Multiinstrumentalisten Anthony Braxton auch in Gruppierungen mit wesentlich avantgardistischeren Ansätzen mit.
Zwischen Electric Jazz und Avantgarde
Mindestens bis Mitte der 1980er-Jahre sollten diese beiden Pole Chick Coreas Spiel charakterisieren. Anfang der 70er bildeten sich um ihn verschiedene Formationen, die ihn ein Leben lang begleiteten. Da war sein Duo mit dem Vibrafonisten Gary Burton, auch er schon vor Miles Davis ein Pionier des Electric Jazz. Zwar spielten die beiden gemeinsam immer nur akustisch, gleichwohl waren ihre Dialoge stets farbenprächtig und elektrisierend. Mit subtilem Humor tanzten sie über ihre Tasten und Plättchen, wie man auf mehreren ECM-Alben hören kann. Ein Fest für Pianogourmets waren zudem Coreas Duoauftritte mit Herbie Hancock.
Noch viel spektakulärer aber war die Formation Return To Forever. Auf ihren ersten beiden Alben „Return To Forever“ (1972) und „Light As A Feather“ (1973) vereinte die Band Elemente aus Kammermusik, Latin Jazz und Jazzrock. Kurz nach der Aufnahme ihres Debüts wirkten vier der fünf Musiker auch am Album „Captain Marvel“ des Saxofonisten Stan Getz mit, das daher ebenfalls von Latin-Jazz- und Jazzrocksound geprägt ist. Die für beide Alben eingespielten Stücke „Crystal Silence“ und „La Fiesta“ wurden zu Klassikern.
Doch Corea ruhte sich nicht auf Erreichtem aus, sondern schaute sich weiter in der musikalischen Welt um. Gruppen wie Yes, King Crimson und Genesis hatten es ihm angetan: Diesen Sound wollte er auch in seine Musik tragen. Mit dem noch blutjungen Gitarristen Al Di Meola, Bassist Stanley Clarke und Drummer Lenny White zelebrierte er ab 1974 einen Progjazz, der weit über Jazzkreise hinaus Gehör fand. Leider stockte er Return To Forever 1977 jedoch zur Big Band auf, was den Sound der Gruppe erheblich verwässerte.