Die Geschichten über seine Ausraster und Eskapaden stimmen nicht alle. Das fängt schon mit dem Geburtsdatum an. Über Jahrzehnte hinweg galt der 23. August 1947 für Biografen, Journalisten und Musikerkollegen gleichermaßen als Fakt – weil es von Moon selbst verbreitet wurde. Erst der britische Journalist Tony Fletcher fand 1998 für sein 750 Seiten starkes Werk „Dear Boy – Das explosive Leben des Keith Moon“ heraus, dass Moon exakt ein Jahr älter war: eine von vielen Geschichten, die der Musiker erfunden oder so ausgeschmückt hatte, dass der Wahrheitsgehalt oft nur noch zu erahnen war.
Fest steht: Keith Moon war als Kind ein liebenswürdiger, vor allem aber aufgedrehter, vom Rock’n’Roll infizierter Geselle. Er war ein unaufmerksamer, unentwegt zu Streichen aufgelegter Schüler, hyperaktiv und früh auf einen Berufswunsch festgelegt: Er wollte ein „Psycho-Schlagzeuger“ werden. Seine Vorbilder waren der Elvis-Drummer D. J. Fontana und der extrovertierte Gene Krupa, der das Schlagzeug im Jazz von der hinteren in die vorderste Reihe rückte – das gleiche also, was Moon (und Led Zeppelins John Bonham) später im Rock bewerkstelligten. Unterricht nahm er nur einige Male, bei Carlo Little, der 1960 die Gruppe The Savages gegründet hatte und der die Bassdrum malträtierte wie kein anderer in London. Viele Jahre später sollte er Schlagzeilen machen, als bekannt wurde, dass er 1962 ein festes Engagement bei den Rolling Stones mit den Worten abgelehnt hatte: „Vielen Dank, Jungs, aber ich muss Geld verdienen.“ Von dem kleingewachsenen 16-Jährigen, der voller Ehrfurcht vor ihm stand, verlangte der Hüne zehn Schilling für 30 Minuten Anleitung. Die wenigen Lehrstunden bei Little waren die ersten Schritte auf Moons Weg zu Ruhm und Reichtum, aber auch zu seinem selbstzerstörerischen Lebenswandel und letztendlich zu seinem Untergang. Und sie waren mitverantwortlich dafür, dass The Who ab 1964 musikalisch deutlich aggressiver auftraten als die Konkurrenz von den Beatles und den Stones.
Das galt auch für die Bühnenshow, die am Beginn ihrer Karriere häufig damit endete, dass die Musiker ihr Equipment zerlegten. Es folgte das an Höhepunkten reiche erste Jahrzehnt: „My Generation“, „Tommy“, Woodstock und Isle Of Wight, „Live At Leeds“ und „Quadrophenia“ waren einige Stationen, die die Who auf dem Zenit sahen. Zerstörte Hotelzimmer gehörten bei Moon aber ebenfalls dazu wie der stetig steigende Konsum von Alkohol und Amphetaminen, der schließlich in die Abhängigkeit führte.
Bacchantische Studiosessions
Künstlerisch ging es mit dem archetypischen Rockschlagzeuger in den Siebzigern rapide bergab, was sich in Los Angeles bei den Aufnahmen zu seinem Soloalbum „Two Sides Of The Moon“ zeigte. Diese verliefen genauso chaotisch wie Moons gesamtes Leben. Die meisten der rund 60 Musiker, die zum Teil wie er am Album „Pussy Cats“ (1974) des Singer-Songwriters Harry Nilsson mitarbeiteten, schufen allerdings in den Record Plant Studios eher eine wilde Partyatmosphäre denn ein vernünftiges Arbeitsumfeld. Dementsprechend dauerte es ab der peinlichen Einspielung des Beach-Boys-Stücks „Don’t Worry Baby“ im März 1974 ein Dreivierteljahr, bis die LP endlich im Kasten war. Produzent war zunächst der ehemalige Beatles-Roadie Mal Evans, der ebenfalls ein massives Alkoholproblem hatte. Nachdem sich die entscheidenden Menschen bei MCA Records die Aufnahmen angehört hatten, wurde Evans gefeuert, „Don’t Worry Baby“ aber als Single veröffentlicht. Evans’ Nachfolger Skip Taylor: „Es gab keine einzige Zeile, die nicht gelallt war.“
Unter den Fittichen von Taylor schraubte Moon seinen Alkoholkonsum runter – weil der neue Chef im Studio auch Drogenlieferant war. Das war im Los Angeles jener Tage keine Seltenheit: Die Produzenten sorgten für die Pillen und das Pulver, weil sie so sicherstellen wollten, dass ihre Klienten nicht unkontrolliert bedient wurden. Taylor über seine Arbeitsmethode im Record Plant: „Ich kam herein und entschied dann, ob dies ein Abend war, an dem wir uns ein bisschen Brandy genehmigen, ein bisschen was rauchen oder eher ein paar Lines ziehen sollten.“
Zu der Musikerriege im Record Plant gehörten unter anderen Ringo Starr, Joe Walsh, Harry Nilsson, Klaus Voormann, Spencer Davis und Bobby Keys. Doch anstatt seine überragenden Fähigkeiten als Schlagzeuger in den Mittelpunkt zu stellen, übernahm Moon bei allen zehn Titeln den Leadgesang, darunter bei „The Kids Are Alright“ (na ja), dem Ricky-Nelson-Titel „Teen Age Idol“ (grausam) und der Beatles-Nummer „In My Life“ (noch schlimmer!). Dass ihm der Gesang häufig missriet, trieb ihn zur Weißglut: Jedes Mal, wenn eine Aufnahme abgebrochen werden musste, weil er mal wieder einen Ton nicht getroffen hatte, zerdepperte er im Studio eine der Glühbirnen mit einem Aschenbecher. Zu den Trommelstöcken griff er nur für drei Songs. Dabei mussten Sessionkollegen wie Jim Keltner gewährleisten, dass der Takt gehalten wurde, während Moon selbst anschließend nur darüber weg spielte.
Die Reaktionen auf „Two Sides Of The Moon“ waren verheerend. Joe Walsh, der in einem späten Stadium Gitarre und Keyboards für „The Kids Are Alright“ beigesteuert hatte, war entsetzt und sprach von einem „halben Zugunglück“. Roy Carr schrieb im „New Musical Express“: „Moonie, wenn du kein Talent hättest, wäre mir das egal, aber das hast du. Deshalb kann ich ,Two Sides Of The Moon‘ nicht akzeptieren – selbst wenn das nach zehn Jahren das Ende einer Freundschaft bedeuten sollte.“ Der „Melody Maker“ nannte die in Großbritannien als Single veröffentlichte Albumversion von „Don’t Worry Baby“ ein „hässliches Trauerlied“, während der „Rolling Stone“ über das Album frostig urteilte: „Es gibt keinen einzigen legitimen Grund für seine Existenz“.
Wie Moon tickte, welchen Humor er auch noch im körperlichen und mentalen Niedergang an den Tag legte, zeigt ein Auftritt am 8. November 1974 bei der ABC-Fernsehshow „Wide World In Concert“. Zum einjährigen Bestehen des Formats wollten die Verantwortlichen „einen großen Namen“, erzählte Stanley Dorfman, der für den US-Sender arbeitete und den Who-Schlagzeuger engagierte. Moon, der Drumsolos „absolut langweilig“ fand, sagte zu, schwang sich – das Gesicht bemalt wie eine Katze – hinter sein Instrument, für das er zwei riesige, durchsichtige Bassdrums gekauft hatte, in denen Goldfische ihre Bahnen zogen. Als er seine fünfminütige Darbietung beendet hatte, wurde er von einer jungen Besucherin vor laufenden Kameras gefragt, was denn nun mit den Fischen passieren würde. Moon verzog das Gesicht leicht und sagte mit verschmitztem Grinsen: „Auch der beste Schlagzeuger wird mal hungrig“.