PER WIBERG - Komfortzone ade!

PER WIBERG - Komfortzone ade!

Opeth, Spiritual Beggars, Anekdoten, Kamchatka oder Candlemass: Allein diese kleine Auswahl an Bands, bei bzw. mit denen Per Wiberg als Keyboarder bereits gearbeitet hat, liest sich wahrlich nicht schlecht. Nur ein echtes Soloalbum fehlte dem Multiinstrumentalisten noch in seiner Vita. Im Interview gewährt der 50-jährige Schwede interessante Einblicke in seinen kreativen Kosmos und ließ sich auch zum neuen Album seiner Band King Hobo, deren Rezension sich weiter hinten im Heft findet, ein paar Worte entlocken.

eclipsed: Per, du hast so viele interessante Bands und Projekte am Laufen, warum nun ein Soloalbum?

Per Wiberg: Meine musikalischen Interessen sind wesentlich vielfältiger als das, was ich bisher umsetzen konnte. Es wäre daher ziemlich unnötig gewesen, wenn ich jetzt auf meinem Soloalbum im Prinzip einen ähnlichen Stil verfolgt hätte. Ich hatte aber keinen vorgefassten Plan, als ich diese Songs schrieb. Meine Gefühle zu teilen und zu sehen, was ich musikalisch noch erreichen kann, das war mein Ziel. Verschiedene Genres zu erforschen und verschiedene Instrumente zu spielen, das war mein Wunsch. Wenn du deine Grenzen nicht überschreitest und aus deiner Komfortzone heraustrittst, wirst du stagnieren. Als Mensch und als Künstler.

eclipsed: Man hört dem Album definitiv an, dass es auf dem Keyboard komponiert wurde.

Wiberg: Ein Großteil der Musik, die ich mein ganzes Leben gespielt habe, basierte letztendlich auf Gitarrenriffs. In allen Bands war bzw. ist die Gitarre das absolut dominante Instrument. Und daher habe ich dann meistens auch so komponiert: mit einer Gitarre auf meinem Sofa. Und obwohl die Tasten ja im Prinzip mein Hauptinstrument sind, fühlte es sich doch ein bisschen seltsam an, auf diese Weise mal zu komponieren. Doch so konnte ich Gefühle, Atmosphäre und Schwingungen jetzt viel besser artikulieren.

eclipsed: Du denkst definitiv mehr als Songwriter denn als Keyboarder.

Wiberg: Das ist vielleicht sogar das ultimative Kompliment, das man mir machen kann. Klar, mir macht es auch manchmal Spaß, schnell zu spielen. Aber darauf kommt es am Ende des Tages nicht an. Natürlich gibt es einige Genres, wo so etwas ganz sicher gefragt ist und dann auch zu einem guten Song dazugehört. Ich mag Soli, wenn zwischen den Musikern dadurch ein Art Interaktion stattfindet. Ich liebe in dieser Hinsicht vor allem die Miles-Davis-Alben der späten Sechziger oder frühen Siebziger. Die spielen zwar alle wie die Verrückten, aber dennoch hat man immer das Gefühl, dass sie im Dialog miteinander stehen. In der Rockmusik suche ich dagegen vor allem Kraft und Energie. Man darf nicht den Fehler begehen, die gleiche Ansprüche auf verschiedene Stile zu projizieren. Denn dann wird man oft enttäuscht.

eclipsed: Dem Album wohnt eine sehr düstere Grundstimmung inne.

Wiberg: Ich würde es erst mal neutral als „filmisch“ beschreiben. Denn so eine Wahrnehmung ist natürlich erst mal sehr individuell. Ich empfinde zum Beispiel ganz frühe Bluesmusik als genauso düster wir die avantgardistischen Ansätze einer Amanda Galãs.

eclipsed: Du musstest auch Texte schreiben. Bei deinen anderen Bands übernimmt diese Rolle meist jemand anderes. Fällt dir so etwas schwer?

Wiberg: Leicht geht es mir nicht von der Hand, aber es macht Spaß. Ich sehe mich da auch eher als Entertainer denn als Philosoph. Ich schreibe hier über universelle menschliche Themen wie Tod oder Verlust und da kann wohl jeder Mensch etwas mit anfangen. Man muss sich aber auch nicht unbedingt tiefer mit meinen Texten beschäftigen. Am Ende des Tages ist es „nur“ ein Rockalbum und keine Dokumentation.

eclipsed: Was ist die Idee hinter dem Albumtitel „Head Without Eyes“?

Wiberg: Der Titel ist vom Datenschutz inspiriert. Wenn Zeitungen über Täter und Opfer von Verbrechen und Gewaltverbrechen berichten, werden diese Menschen mit einem schwarzen Balken vor ihren Augen dargestellt. Ich habe immer ein bestimmtes Bild vom Aussehen dieser Menschen. Die Visualisierung in meinem Kopf entspricht aber oft nicht der Realität. Das zeigt, wie wichtig die Augen sind. Der Blick eines Menschen sagt viel, wenn nicht gar alles über die betreffende Person aus. Mein Album geht tiefer auf diese Wahrnehmung ein.

eclipsed: Du hast auch den Posten des Sängers übernommen.

Wiberg: Ich habe früher in einer ganzen Reihe von Bands gesungen. In den letzten Jahren habe ich mich aber hauptsächlich auf das Spielen von Instrumenten konzentriert. Und da dieses Album für eine Art Ein-Mann-Band konzipiert war, fand ich es auch ganz cool, wieder zu selbst zu singen.

eclipsed: Werden wir die Songs auch live erleben können?

Wiberg: Ja, das würde mir gefallen, klar. Aber ich verfolge da keinen vorgefassten Plan. Ich werde es einfach auf mich zukommen lassen. In Schweden werde ich ein paar Konzerte zu Ehren von „Head Without Eyes“ geben, aber ansonsten ist nichts geplant. Eine Welttournee wird es aber wohl eher nicht geben. (lacht) Allein diese Platte zu machen, hat mir viel Freude bereitet. Alles, was darüber hinaus passiert, wäre ein schöner Bonus.

eclipsed: Eine komplette Fokussierung auf eine Karriere als Solokünstler ist also nicht in Sicht?

Wiberg: Ja und nein. Tatsächlich denke ich darüber nach, im nächsten Jahr auf jeden Fall ein zweites Album zu präsentieren. Ich bin stolz auf meine Arbeit, weil ich meine Grenzen überschritten und einige neue Dinge ausprobiert habe. Gleichzeitig möchte ich aber auch das Leben als Bandmitglied nicht missen. Eine Tour mit Bandmitgliedern macht einfach zu viel Spaß. Die Kameradschaft, die du mit anderen Musikern im Tourbus aufbaust, gefällt mir wirklich.

eclipsed: Ebenfalls dieser Tage wird das zweite Album von King Hobo veröffentlicht. Dort verfolgst du mit Clutch-Schlagzeuger Jean-Paul Gaster und Kamtschatka-Gitarrist Thomas Andersson einen komplett anderen Ansatz.

Wiberg: Wir haben das Album genauso aufgenommen wie das erste: live im Proberaum. Es ist ein ziemlich befreiender Prozess, verglichen damit, wie die meisten Alben heutzutage aufgenommen werden. Wir stellen unsere Ausrüstung im Kreis auf und drehen voll auf. Wir jammen den ganzen Tag und nehmen direkt vor Ort auf. Es fühlt sich dann wie ein richtiger Gig an, und wir müssen uns auch keine Sorgen machen, wie es live klingen wird, denn das ist live im Original!

eclipsed: Du stammst aus Borlänge, einer eher ländlich gelegenen Kleinstadt in Mittelschweden. Aus dieser Stadt kommen u.a. auch Bands wie Mando Diao, Stonewall Noise Orchestra, Astral Doors, Dozer oder Green Leaf. Liegt es nur an der guten Luft und dem Trinkwasser, oder wie erklärst du dir diese Häufung?

Wiberg: Einen einzigen Grund gibt es vermutlich nicht, aber schon lange vor der Rock-Ära war diese Region ein Zentrum für traditionelle schwedische Folkmusik. Musik war also immer schon ein wichtiges Merkmal für die Stadt. Als ich mit der Musik angefangen habe, gab es außerdem überall in den Jugendzenten Instrumente, die man einfach nutzen konnte. Man konnte lernen, ohne dafür bezahlen zu müssen. Man konnte sich zwanglos ausprobieren. Ohne Druck, ohne finanzielle Einschränkungen. Das ist schon etwas sehr Positives. 

* * * Mike Borrink