Keiner hat eine genaue Definition, aber alle wissen, was gemeint ist, wenn von Krautrock die Rede ist. „Krautrock ist keine Musikrichtung, sondern eine Bezeichnung für eine Phase: 1969 bis 1974“, erklärt Dirk Jan Müller von der Band Electric Orange. „Krautrock kann alles sein. Am spannendsten war er, wenn er nicht angloamerikanisch geprägt war.“ Genau diese Eigenständigkeit verkörpern Bands wie Faust, CAN, Amon Düül II, Popol Vuh, Guru Guru oder Kraan, die eine für hiesige Verhältnisse unbekannte kreative Unbekümmertheit an den Tag legten. Tom Redecker von The Perc Meets The Hidden Gentleman bezeichnet Krautrock als „den einzigen Beitrag Deutschlands zum weltweiten Phänomen der Rockmusik“. Freilich, Krautrock ist breitgefächert: Elektronik von Kraftwerk oder Tangerine Dream; Artrock von Eloy, Jane oder Grobschnitt; anarchistischer Folk von Witthüser & Westrupp.
Dies muss man im Hinterkopf haben, will man sich der aktuellen Krautrockszene nähern. Auch der Neo-Krautrock darf nicht auf einen Stil festgelegt werden. „Es gibt keine aktuelle Krautrockszene“, sagt Müller lapidar. Dabei vermischt gerade seine Band Electric Orange seit mehr als zwanzig Jahren auf teils herausragenden Alben Krautrock mit Psychedelic. Stephan Otten vom Elektronikduo Sankt Otten, von dem man eine direkte Linie zu Kraftwerk ziehen kann, sagt: „Bands, die sich auf den Krautrock berufen, kann man in Deutschland an zwei Händen abzählen.“ Vielleicht wird der Begriff zu eng gefasst. Betrachtet man den Neo-Krautrock mit derselben künstlerischen Offenheit wie die Szene in den frühen Siebzigern, so findet man unzählige Bands, die den Krautrockpionieren und ihren Stilmitteln respektvoll folgen.