SPACE INVADERS - Interview zum neuen Album „Dreadnought“

22. September 2015

Space Invaders Underground

Interview mit Paul Pott (Bass), Dirk Jan Müller (Keyboards), Dennis Gockel (Drums) und Tipi Mike (Gitarre)

eclipsed: Nach zwei live eingespielten Alben habt ihr nun im Studio improvisiert. Wie hat sich die „neue" Umgebung ausgewirkt? Ist es eine andere Art des Jammens?

Paul Pott: Die neue Umgebung wirkte etwas verzerrt auf mich, da ich mit akutem Bandscheibenvorfall und gelähmtem Bein im Studio stand und mich mit allen möglichen bunten Pillen und einer Flasche Whiskey betäubt habe, damit ich das Wochenende durchhalte. Aber auf jeden Fall kann ich sagen, dass die Aufnahme im Studio den Vorteil hat, dass man einen Jam abbrechen kann, wenn einem das Resultat nicht gefällt oder der Jam nicht funktioniert. Auf der Bühne ist man darauf festgenagelt, so was dann durchzuziehen und zum Ende zu bringen.

Dirk Jan Müller: Im Studio ist es ruhiger, und man hört alles besser als auf der Bühne. Auf der Bühne ist das daher teilweise sehr schwierig mit der musikalischen Kommunikation.

Dennis Gockel: Absolut. Die direkte Resonanz aus dem Publikum fehlt natürlich, andererseits kann man tiefer in das entstehende Material eintauchen, weil man ja nicht abgelenkt wird. Dazu muss ich sagen, dass der Sound auf meinem Kopfhörer durch die Pre-Amps vom Glockenklangpult schon so fett geklungen hat, dass es mich total weggebeamt hat.  

eclipsed: Die Keyboards scheinen dieses Mal mehr im Fokus zu stehen. Korrekt? Wie kam das zustande?

PP: Wir haben dieses Mal mit Matt Korr als Produzenten das Gelingen des Sounds aus unseren Händen gegeben. Nach einigen Korrekturen am Mix klang „Dreadnought“ so, wie es jetzt klingt, und wir waren zufrieden. Beabsichtigt war das nicht. Wahrscheinlich war das Matts Einfluss.

DJM: Weil eine Gitarre fehlt, im Gegensatz zu den Live-Aufnahmen. Und nachdem man dem Mixer vier Mal auf den Geist ging, doch endlich mal die Synthies lauter zu machen, hat es beim vierten Mal dann auch geklappt.

DG: Nicht ganz, durch den Ausstieg von Dirk Bittner waren wir nur zu viert im Studio, zudem waren wir mit einem technischen Niveau konfrontiert, das so ungewohnt für uns war. Am Ende klang die ganze Aufnahme erschreckend sauber und irgendwie leer. Als ich mit Matt die ersten Mix-Sessions gemacht habe, standen wir vor dem Problem, das Ganze irgendwie spaciger hinzubekommen, dann haben wir ordentlich rumexperimentiert mit verschiedenen Effekten. Hat etwas von einem Echsen-General der Vogonen-Bauflotte, nicht? Der Synthie und auch das Mellotron von Dirk haben durch die fehlende Rhythmusgitarre natürlich deutlich mehr Raum im Gesamtsound.

Tipi Mike: Es kommt immer ein bisschen auf den Mischer an, und mit nur einer Gitarre hat man eben mehr Platz, um sich zu bewegen. Und da Dirk die ersten beiden Platten mischte, hat er sich sehr wahrscheinlich nicht aufdrängen wollen, um den armen Gitarristen, die sich eh nie hören, eine Chance zu geben.  

eclipsed: Schildert bitte mal den typischen Aufnahmeprozess. Wie geht ihr beim Jammen vor? Woher kommen die Ideen?

PP: Wir einigen uns auf Grundtöne und spielen drauflos. Mehr ist da nicht. Obwohl … seit Brainy [Anm.: Baal Brain, der Gitarrist bei der Band Knall] festes Mitglied bei uns ist, haben wir auch schon ein paar Mal die Methode von Knall angewendet. Die haben das sogenannte „Zauberwort“. Da stehen alle Grundtöne drin, die zu spielen sind, und gleichzeitig ist das Zauberwort die Setlist. So was kann halt auch mal in die Hose gehen. Das erscheint dann aber auch nicht auf Platte.

DJM: Es gibt keinen typischen Aufnahmeprozess. Die Ideen kommen, oder auch nicht. Deswegen nimmt man zu viel Material auf, damit man nachher aussuchen kann.

DG: Also, irgendeiner fängt irgendwie an, und die anderen spielen irgendwas dazu, so eine Art musikalisches Gläserrücken. So machen wir das bei Weltraum auch schon immer, und so kenne ich eigentlich das Prinzip der freien Improvisation. Nichts wirklich weltbewegend Neues also.  

eclipsed: Erlebt ihr dabei immer noch/wieder Überraschungen? Ist der „Reiz des ersten Mals" immer noch da?

PP: Oh ja. Nicht nur die Zuhörer wissen nicht, was sie geboten bekommen, wir wissen es ja auch vorher nie. Und gerade letztens sagte ich zu Dennis auf einem Gig: „Ach du Scheiße, was war das denn gerade?“ Das sind so Momente, in denen alles zu 100% funktioniert und stimmt. So was fühlt sich dann genauso an wie das erste Mal. „Hexensabber“ ist so ein Beispiel. Da war außer dem Grundton gar nichts abgesprochen. Und von dem Song gibt es auch nur einen Take.

DJM: Eher selten, mit den Überraschungen. Den Reiz des ersten Mals? Gab es den je?

TM: Nachdem wir uns während der Jahre ein bisschen besser kennengelernt haben, ist es noch viel geiler geworden, mit den Jungs zu jammen.  

eclipsed: Die Stücke wirken „strukturierter" als beim Debüt. Zustimmung? Wenn ja, woher kommt das?

PP: Ja, Zustimmung. Das liegt daran, dass wir mittlerweile besser eingespielt sind als beim Debüt. Wir wissen alle, wie Rockmusik funktioniert, und wenn man sich unsere drei Platten anhört, wird man merken, dass wir unsere Space-Rock-Hausaufgaben durchaus gemacht haben. Dennis ist ein absolut teamfähiger Schlagzeuger mit schneller Reaktion und präsenten Signalen. Und am Schlagzeuger liegt es in der Regel, ob man als Jam-Band strukturiert wirken kann oder nicht. Dennis ist in seiner Rolle ganz gut gewachsen in den letzten 2½ Jahren, was uns in unserem Zusammenspiel auch nach vorne gebracht hat. Solche Sachen wie auf „Dreadnought“ hätten wir 2013 nicht einfach mal so aus dem Ärmel geschüttelt. Das mit der plötzlich aufgetretenen Struktur ist bei uns auch Thema gewesen. Wir beobachten uns dabei gerade selbst und sind am Gucken, wie wir das weiter ausbauen können.

DJM: Reiner Zufall oder Können. Das wissen wir auch nicht.

DG: Naja, nur die Stücke, die wir uns für die Platte aus den sechs Stunden Material ausgesucht haben. Wir sind echt ganz gut darin, gegenseitig zu bemerken, wann die anderen was wollen oder in welche Richtung es gehen könnte. Eigentlich der perfekte Zustand bei der Improvisation. Hat einfach von Anfang an super geklappt mit der Crew.

TM: Ich denke, das ist bedingt durch unsere Reaktionsfähigkeit, unsere Erfahrung und unser kollektives Denken, wie ein Vogelschwarm, der im Kollektiv weiß, wenn er abdrehen muss.  

eclipsed: Wie seid ihr auf diese „dreckigen", sofort auffälligen Vocoder-Sounds gekommen?

PP: Das ist kein Vocoder. Das ist Mikes Talkbox. Wir nennen sie immer die „Magensonde“. Wobei ich auch nicht abgeneigt wäre, wenn Dirk mal einen Vocoder einsetzen würde.

DJM: Das ist kein Vocoder, sondern eine Talk-Box, eine Magensonde, ein Kotzschlauch.

TM: Die Vocoder-Sounds, die du wahrscheinlich meinst, sind meine Talkbox, und die habe ich schon über zehn Jahre. David Gilmour hat so eine Talkbox oft auf „Animals“ benutzt und Peter Frampton auf seinem „Do You Feel“. Es ist halt einfach ein wunderschöner Mund-Wah-Wah-Gitarrenklang.  

eclipsed: Ist der Track „Hexensabber“ eine Hommage an „Hexensabbat“ vom Passport-Debüt?

PP: Ich muss ja zugeben, dass mir, als ich den Titel vorgeschlagen habe, vor meinem geistigen Auge Klaus Doldinger erschienen ist. Mit Saxophon und Mielke-Hornbrille. Die Geschichte hinter „Hexensabber“ ist aber eine andere: Während der drei Tage im Studio hatten wir Besuch von Rotbert, einem Kater. Am letzten Tag im Studio war klar, dass wir ihm einen Song widmen werden. Der lag den ganzen Tag über in der Regie, auf einem schwarzen Ledersofa, und hat sich den Kopf kraulen lassen. Man kann ihn übrigens auf der Innenseite des „Dreadnought“-CD-Covers sehen. Immer wenn er am Kopf gekrault wurde, fing er an, wie eine Kettensäge zu schnurren, und hat dabei auf das Sofa gesabbert. Irgendwann war das Sofa so dermaßen vollgesabbert, von vorne bis hinten, dass wir uns nur noch auf die Lehne gesetzt haben. Und da war klar, dass Rotberts Song „Hexensabber“ heißen soll (mit Klaus Doldinger vorm geistigen Auge).

TM: Nein, keine Hommage an Passport, aber eine Hommage an das Alien, das uns im Studio besuchen kam. Das hat halt einfach ziemlich gesabbert.  

eclipsed: Als was seht ihr eure Musik selbst: Psych? Space Rock? Krautrock? Irgendwo mittendrin in diesem magischen Dreieck?

PP: Ich sehe unsere Musik als Space Rock, in der Tradition des Krautrocks.

DJM: Space Rock

DG: Keine Ahnung, das ist doch euer Job, das in irgendeine Schublade zu stecken, oder nicht? Fehlt noch Funk, Impro, Doom und Space Punk, um aus dem Dreieck mal ein Siebeneck zu machen ...

TM: Ich kann unser Ding kaum auf drei Begriffe reduzieren. Es ist kosmische Musik, da kann alles reinfließen, was uns für den Flug dienlich ist.  

eclipsed: Spielt ihr mit dem Gedanken, auch mal über das Jammen hinauszugehen und „etwas zu komponieren“?

PP: Songs komponieren ist bei uns kein Thema. Komponierte Songs müssen geprobt werden. Aber das ist für uns nicht möglich, da wir zu weit auseinanderwohnen. Daher haben wir die Space Invaders auch als Jam-Band gegründet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir mit den Space Invaders jemals etwas anderes machen werden, als frei zu improvisieren. Für alles andere stehen uns ja alle Möglichkeiten in anderen Projekten offen.

DJM: Muss nicht unbedingt sein. Das ist sehr anstrengend.

DG: Eigentlich nicht, oder? Es ist ja so, dass wir unsere Impro-Bewegungen als Spontan-Komposition sehen. Wir komponieren also die ganze Zeit, theoretisch könnten wir das Material danach ausarbeiten und zu wiederholbaren Songs verarbeiten. Um zu einem signifikanten Stück zu werden, braucht ein Session-Part schon ein eigenes Bild. Wir lassen die Stücke dann auf uns wirken und benennen sie nach den Bildern, die sie in uns erzeugen.

TM: Warum vorher komponieren, wenn man den Moment viel lebendiger machen kann?  

eclipsed: Geht es immer noch „nur" um den Spaß an der Sache, oder regen sich jetzt nach drei Alben (das mit Nik Turner mitgezählt) mehr Ambitionen?

PP: Natürlich steht der Spaß an der Sache immer noch im Vordergrund. Aber der Wunsch, als Band weiterzukommen, besteht natürlich auch. Und mit „Dreadnought“ haben wir jetzt zum ersten Mal spürbar Geld verdient. Das haben wir natürlich direkt auf den Kopf gehauen und uns ein mobiles Recording Studio gekauft. Dadurch wurde uns vor Augen geführt, dass man von Spaß alleine kein mobiles Recording Studio kaufen kann, das eine Jam-Band weiterbringt. Im Endeffekt läuft es aber dann wieder darauf hinaus, dass wir Spaß an der Sache haben wollen. Mal Hand aufs Herz: Mit dem von uns bevorzugten Sound wird man nicht reich und berühmt. Profit ist daher kein erstrebenswertes Ziel in einer Space-Rock-Band. Aber ein bisschen Gewinn, den man wieder in die Sache investiert, um weiterzukommen und noch mehr Spaß an der Sache zu haben, ist keinesfalls zu verachten.

DJM: Nur Spaß. Andere Ambitionen wären da fehl am Platz.

DG: Nein. Spaß an der Sache ist doch das Schönste, was einem so passieren kann. Wir haben das Glück, nicht von der Mucke leben zu müssen, das lässt die Kunst atmen und hält uns fern von dummen Gedanken. 

TM: Es ist mehr als nur Spaß, wenn man Musik macht. Für mich ist es auch Leidenschaft, Klangforschung, Lebensphilosophie, Liebe zum Detail und vieles mehr. Musik ist Lebenselixier. Ambitionen? Ich möchte einfach tiefer in die Musik reingehen.  

eclipsed: Ihr habt wieder ein Cover von Sergey Skachkov gewählt. Was fasziniert euch so an seinen Bildern?

PP: Sergey ist einfach ein großartiger Künstler. Seine Bilder erzeugen eine außerirdische Stimmung. Wenn ich mir die Bilder anschaue, frage ich mich immer, wie die Leute auf den Bildern leben. Welche Kultur pflegen sie? Was machen sie abends, wenn sie zu Hause sind? Was essen sie? Leben sie, um zu arbeiten, oder umgekehrt? Suchen sie ebenfalls nach Leben im Weltall, oder haben sie überhaupt ein Bewusstsein davon, dass dort draußen noch mehr ist? Über Sergeys Landschaften und Figuren kann ich mir stundenlang Gedanken machen.  

eclipsed: Zurück zum Herzberg: Ihr seid dort ja mehr oder weniger spontan mehrmals aufgetreten. Wie war es dort? Sind mehrere Auftritte nicht auch anstrengend?

PP: Die Auftritte selbst sind nicht anstrengend. Aber ein Gig bedeutet im Vorfeld und anschließend Arbeitseinsatz. Und mehrere Arbeitseinsätze während eines Festivals können schon anstrengend sein. Zumal man die Arbeitsleistung nicht immer ganz nüchtern bringt. Aber Herzberg ist schon super. Wir haben uns dort mittlerweile eine treue Fanbase erspielt. Da ist einfach ein super Publikum.

DJM: Die Auftritte waren recht verschieden. Da es wirklich sehr anstrengend ist, haben wir es jedes Mal etwas reduziert: von 5 Mal 2013 auf 3 Mal 2014 auf 2 Mal 2015.

DG: Es wird mir immer wieder eine Freude sein, dort zu spielen, egal, auf welcher Bühne, egal vor wie vielen Leuten. Es kommt auf die Atmosphäre an bei unseren Sessions, und die ist dort einfach unglaublich energetisch und positiv.

TM: Ich für meinen Teil kann nie genug kriegen. Ich spiele auch zehn Stunden am Tag, wenn man mich lässt, und nach einer Woche bin ich eingespielt mit den Jungs. Anstrengend ist es schon, aber scheiß drauf, man lebt nur einmal.

Interview: Bernd Sievers

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