1971 - Das Feuerwerk

31. Juli 2021

1971 Classic Rock Rockhistory

1971 - Das Feuerwerk

1971 sind die Mythen der Sixties verblasst, und eine junge, innovative Rockszene erobert den Mainstream. Es war ein beispielloses Kreativspektakel: In der musikalischen Bilanz des Jahres 1971 finden sich mehr grandiose Alben, unvergessliche Songs und vielversprechende Newcomer als je zuvor oder danach. Und: Nie hatte die Rockmusik mehr Zukunft als in diesem einzigartigen Moment ihrer Geschichte. Wie kam es dazu? Und was waren die Folgen? Rundgang durch ein gleichermaßen wunderbares wie wundersames Musikjahr. 

Brian Jones, Jimi Hendrix, Janis Joplin – alle tot, gestorben einer nach dem anderen innerhalb von nur 15 Monaten seit dem Juli 1969. Der so optimistische Aufbruch der Swinging Sixties war vorbei. Stattdessen: Depression galore. Die Rockmusik hatte Galionsfiguren verloren, und mit der allgemeinen Desillusionierung und dem Ende der Beatles im April 1970 hätte sie gar selbst ihr Ende finden können. So wie zehn Jahre zuvor: Um 1960 herum waren Buddy Holly, Little Richard und Chuck Berry aus den Charts und von der Bildfläche verschwunden, ihr Rock’n’Roll schien abgelegt im Archiv der Popgeschichte, Aktenvermerk „erledigt“. Und Elvis machte Schnulzen. Nichts deutete damals darauf hin, dass dieses aufregende Intermezzo der 1950er Jahre noch irgendwelche Folgen zeitigen würde. Bis Beatles, Stones und ihre Kohorten auftauchten.

Eine Dekade später hätte es also ähnlich kommen können. Aber die Situation war  eine andere – kulturell, gesellschaftlich, technisch und musikalisch. Denn was da im gerade abgelaufenen Jahrzehnt gelodert hatte, war alles andere als ein Strohfeuer gewesen. Im Gegenteil, nie zuvor hatte sich die populäre Musik in dieser grundlegenden Weise neu erfunden. Nie zuvor war sie so tief verwurzelt in einem allgemeinen kulturellen Umbruch, nie zuvor war sie eine dermaßen enge Allianz mit ihrem jugendlichen Publikum eingegangen, und nie zuvor war sie so verzahnt mit einem technologischen Innovationsschub, der ihr völlig neue Welten eröffnete. Im Annus mirabilis 1971 ging die Saat dieser Revolution nun auf in einem Feuerwerk meisterhafter Musik. Das Motto: Long live Rock! 

Die Puppenspieler

Möglich machten das natürlich die beteiligten Musiker – ohne ein paar kluge Männer hinter den Kulissen aber hätten sie kaum entsprechendes Gehör gefunden. Zum Beispiel Clive Davis, Peter Grant, Tony Defries und David Geffen. Ihre Namen kannte kaum jemand, als Manager aber ließen sie die Puppen tanzen. Sie erkannten die Zeichen der Zeit, sorgten für neue Machtverhältnisse und neue Spielregeln. 
Etwa der studierte Politikwissenschaftler Clive Davis. Alles andere als ein Frischling, zählte er 1971 bereits 39 Jahre. Bei Columbia Records hatte er sich zum Alleinherrscher aufgeschwungen, der nun konsequent auf die junge Rockmusik setzte. Zu seinen Zugpferden zählten 1971 Stars wie Bob Dylan, Paul Simon, Santana, Johnny Winter und Blood, Sweat & Tears. Zudem spielte Davis eine Schlüsselrolle beim Aufstieg von Pink Floyd: Er hatte den britischen Braten als Erster gerochen und sich die außereuropäischen Veröffentlichungsrechte an der Musik von Syd Barretts Band gesichert. 

Auf der anderen Seite des nordamerikanischen Kontinents, in Los Angeles, begann derweil der Jungmanager David Geffen gemeinsam mit seinem Partner Elliot Roberts das wegweisende Asylum-Label aufzubauen. Neben Neil Young und Joni Mitchell stand dort bald die Elite der Singer-Songwriter-Szene – Jackson Browne, Linda Ronstadt, Tom Waits, Judee Sill und John David Souther – unter Vertrag. 1971 ermutigte Geffen Ronstadts Begleitband, es unter eigener Flagge zu versuchen, und noch im selben Jahre begannen die Eagles mit der Arbeit an ihrem Debütalbum.

Auch Peter Grant war 1971 bereits ein Veteran, sein Revier war die Londoner Szene. Clever und durchsetzungsstark, stand er in der Tradition solcher Manager wie Don Arden, die sich gern auch mal zweifelhafter Methoden bedienten, wenn es die Situation erforderte. Berühmt ist Steve Marriotts Antwort an Jimmy Page, der den Sänger und Gitarristen der von Arden betreuten Small Faces einmal wegen einer Kollaboration anfragte. Marriott erwiderte rhetorisch: „Hättest du Lust, mit gebrochenen Fingern zu spielen?” Marriott verzichtete, und Page fragte lieber einen anderen. Grant jedenfalls hatte als Tourneeleiter für Bo Diddley und die Everly Brothers gearbeitet, bevor er das Management-Handwerk bei RAK, der Firma seines Kumpels Mickie Most, erlernte.

Anders lagen die Dinge bei Tony Defries. Auch wenn sein Vater mit Antiquitäten gehandelt hatte: Der Engländer, der seinen Job u. a. beim berüchtigten Allen Klein (The Beatles, The Rolling Stones) gelernt hatte, war ein Mann mit Vision. Er hatte erkannt, dass die Post-Beatles-Generation neue Themen und neue Sounds verlangte. Mit den Glamrock-Initiatoren T.Rex und deren Einstandshit „Ride A White Swan«, kurz darauf gefolgt von „Hot Love«, war die Schrift an der Wand schon im Winter 1970/71 deutlich zu sehen. Neue Gesichter waren also gefragt. Defries sicherte sich für seine Managementfirma GEM rechtzeitig David Bowie, Iggy Pop, Lou Reed und Mott The Hoople – die Seventies konnten kommen. Mit bemerkenswerter Konsequenz hatten diese vier Manager ihre ganz eigenen Schlüsse aus den 60er Jahren gezogen. Beispielhaft nahmen sie entsprechende Weichenstellungen vor und trugen so dazu bei, 1971 zum Schlüsseljahr der Rockmusik zu machen ...

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