Das deutsche Retrorock-Trio KALAMAHARA kennt nur Herausforderungen, keine Grenzen

21. November 2017

Kalamahara Underground

eclipsed: Alex, auf den Fotos auf eurer Website seht ihr noch recht jung aus. Wie alt seid ihr? Seit wann seid ihr zusammen?

Alex Beyer: Hans und ich sind 28 und kennen uns auch fast genauso lange. Wir sind zusammen aufgewachsen und machen gemeinsam Musik, seit ich mich erinnern kann. In der mecklenburgischen Provinz hatte man dafür auch viel Zeit. Ich habe schon mit fünf Jahren angefangen Gitarre zu spielen. Die ersten Sessions haben wir so mit zehn oder elf gemacht und die richtige erste konstante Band kam dann mit 14. Diese haben wir mit Pausen dann auch bis 2012 aufrechterhalten. Das ging eher in Richtung Grunge/Alternative. Nach der Auflösung bin ich dann ans Schlagzeug gewechselt und habe so Clemens, der letzte Woche seinen 30. Geburtstag hatte, in Leipzig kennengelernt. Ich bin als Schlagzeuger in seine damalige Band eingestiegen, gespielt habe ich in Sessions und Jams aber schon länger und daraus hat sich dann wenig später nach einem Besetzungswechsel – Hans hat den alten Bassisten ersetzt – Kalamahara entwickelt.

eclipsed: Der Heavy-70ies-Gitarren-Psych ist nicht gerade das, was jungen Leute heutzutage im Allgemeinen hören. Und die Mädels stehen auch nicht wirklich drauf. Wie seid ihr auf diesen Stil gekommen? Bist du mit dieser Stilbezeichnung überhaupt einverstanden?

Beyer: Wir machen diese Art von Musik, deine Bezeichnung gefällt mir gut, ja nicht, um damit irgendjemandem oder, wie du es sagst, den Mädels zu gefallen. Für mich persönlich ist unser Sound ein Spiegel der einzelnen Charaktere und hat sich über eine gemeinsame musikalische Sozialisation entwickelt, die natürlich dicht an den 70s liegt. Da spielen Bands eine Rolle wie Led Zeppellin, Neil Young, Pink Floyd, bei Clemens Thin Lizzy, Black Sabbath, etc. Es ist jetzt nicht so, dass wir gesagt haben „Wir machen das jetzt genau in diesem Stil.“ Das hat alles mehrere Entwicklungsstufen durchlaufen und ist eben jetzt genau da angekommen, wo wir sind. Ich habe insgesamt das Gefühl, dass – allgemein gesagt – härtere Gitarrenmusik mit den genannten Referenzen derzeit wieder stärker frequentiert wird. Das sieht man einerseits an Erfolgsgeschichten wie bei Kadavar, aber auch an der Vielfalt der Szene und der Festivallandschaft. Das ist alles natürlich immer noch Sparte und dicht am Underground. Aber das fühlt sich für mich auch besser an als Szeneclub und Hochglanzmagazin.

eclipsed: Euer Debütalbum „Chtonic Beast“ von 2013 war schon nicht von schlechten Eltern. Aber mit „Greener Fields“ habt ihr euch doch ein gehöriges Stück weiterentwickelt. Wie siehst du das?

Beyer: Heute kann ich mit „Chtonic Beast“ tatsächlich kaum noch etwas anfangen, bis vielleicht auf zwei, drei Titel. Das liegt auch daran, dass Hans und ich viele dieser Songs gar nicht mitgeschrieben haben, sondern sie noch aus der alten Band von Clemens stammen. Das ist jetzt gar nicht negativ gemeint – da waren auch echt starke Bretter dabei – aber man hat dazu dann doch eine andere Beziehung als zu Songs, die man von Anfang an bis zur Aufnahme begleitet hat. „Greener Fields“ dagegen ist für mich das Beste, das ich je mit einer Band auf Platte gebracht habe, und ist meiner Meinung nach ziemlich durchdacht und ausgereift. Wir haben uns viel Zeit gelassen, die auch wichtig war und die wir nach dem Ausstieg von unserem zweiten Gitarristen auch brauchten, um uns und die bestehenden Songs neu zu sortieren. Auch bei der Produktion des Albums haben wir viel bewusster gearbeitet, unser Debüt wurde zum Beispiel noch „step by step“ aufgenommen, doch seit der letzten EP „The Unmeant Wedding“ (2015) machen wir alles, was geht, live und ohne Klick. Das verschafft mehr Freiheit, ist weniger künstlich und ermöglicht dir viel mehr Gefühl, wirkt damit lebendiger und nicht so eingeengt. Entwicklung gibt es da eigentlich immer, aber ohne die könnte man als Band auch gar nicht bestehen.

eclipsed: Das neue Album ist weit mehr als „nur“ dreckiger Gitarrenrock. Da sind doomige Growls drin, aber auch ruhige elegante Passagen, eingängige Melodien und progressive Elemente. Wie seid Ihr darauf gekommen?

Beyer: Um die Entstehung der Platte besser zu verstehen, muss man vielleicht erwähnen, dass wir an einem großen Teil des Songwritings in einer Art Bandprobenlager an der Müritz in Mecklenburg gearbeitet haben. Dort wo Hans und ich aufgewachsen sind. Da gibt’s einen Proberaum direkt am See, wo wir uns mehrfach für eine Woche eingeschlossen und ausgiebige Sessions abgehalten haben. Das war unglaublich ergiebig und bildet die Basis für viele Songgerüste. Wenn wir jammen, haben wir dabei eine sehr krasse Bandbreite, die gern mal Funk mit Doom, Pop mit Stoner, Blues mit Punk oder weiß der Geier was verbindet. Dazu gibt es Texte, die größtenteils Hans schreibt, und vorhandene, schon recht strukturierte Ideen von Clemens. Vereinfacht gesagt kommt das alles in den Mixer, ich steuere meine Grooves bei, die teils auch sehr davon abhängen, was ich im jeweiligen Moment für Musik höre und am Ende kommt eben dieses bunte Potpourri des gesunden Wahnsinns heraus.

eclipsed: Die Vocals auf dem Album variieren daher auch ordentlich. Ist es wirklich so, dass alle drei sich die Leadvocals teilen?

Beyer: Clemens ist schon der Hauptsänger, aber Hans ist in den letzten zwei Jahren immer mehr aus der Deckung gekommen und ich könnte mir vorstellen, dass er das in Zukunft auch noch weiter ausbaut. Stimme und Musiker haben sich da quasi erst zusammengefunden. Früher in meiner alten Band hatte er kaum bzw. deutlich weniger gesungen. Das finde ich sehr stark und mega-spannend. Auf dem Album hat im Grunde jeder so seinen vordergründigen Part, das ist bei Hans zum Beispiel „Reflections“, bei Clemens vielleicht „Radiator“ und bei mir „Phoneiric“. Beim Rest singen wir oft auf Augenhöhe. Das hat sich im Prinzip auch einfach so ergeben. Das ist aber definitiv eine Baustelle, die in Zukunft noch viele Möglichkeiten offenhält. Es ist schön, sagen zu können, dass wir kreativ noch lange nicht erschöpft sind.

eclipsed: Auf eurer Website haut ihr bei den Infos ein paar ebenso witzige wie selbstbewusste „Sprüche" raus. Z.B. dass Ihr ein Barbecue im Höllenfeuer mit Jimi Hendrix einem Harfenunterricht mit Mutter Theresa vorzieht. Das ist mal ein Motto. Seid ihr so selbstbewusst? Und: was hat Jimi, was Theresa nicht hat?

Beyer: Der Text ist schon ein bisschen älter, aber diese Passage würde ich trotzdem noch unterschreiben. Jimis größter Vorteil gegenüber Mutter Theresa ist eindeutig seine Freiheit: Er hat den Exzess, den Blues, den Groove, Soul in der Stimme, den Wahnsinn in seinen Fingern und mit allem zusammen eine unbändige Energie. Damit spricht er mich zumindest mehr an als eine weiße Weste und ein religiöser Kontext, auch wenn die Dame bestimmt ein feiner Mensch war. Ich würde uns schon als selbstbewusste Band bezeichnen, finde es aber immer ziemlich affig, wenn man nicht im gleichen Atemzug trotzdem über sich lachen kann. Robert Plant hat irgendwann mal gesagt, dass er sich heute für seine Arroganz in den 70ern hasst. Verbohrtheit oder Abheben führt immer dazu, dass Spaß und positive Energie auf der Strecke bleiben. Das ist zum Beispiel ein Kompliment, das wir oft bekommen: Die Leute freuen sich immer über die Band-Dynamik bei unseren Konzerten, dass wir auch mal lachen, also ehrliche Emotionen zeigen, wenn jemand irgendwas verreißt oder uns eben freuen, wenn es gerade einfach „härtestens abmetert“. Interagieren und Blicke auszutauschen finde ich da sehr wichtig und die Leute spüren, dass wir eben nicht nur jeder für sich, sondern zusammen spielen. Gerade bei einem Trio ist alles andere aber auch eigentlich nicht denkbar.

eclipsed: „There are no limits, just challenges“ steht auch auf eurer Website. Welche Herausforderungen habt Ihr schon bestanden? Was habt Ihr Euch vorgenommen?

Beyer: Da gibt es viele. Eine unserer größten Herausforderungen ist natürlich die Fernbeziehung. Ich lebe seit über drei Jahren mit Fulltime-Job in Hamburg, die anderen beiden in Leipzig. Jeder für sich hat viele Verpflichtungen, die der Band leider wenig Zeit übriglassen. Wir sind aber sehr konzentriert und effektiv, wenn wir uns treffen und quasi ein eingespieltes Team. Mit dem Album jetzt war es nicht leicht, ein Label zu finden. Vor dieser Art von Musik haben die meisten dann doch Respekt oder verstehen sie nicht. Am Ende haben wir aus der Not eine Tugend und es quasi selbst gemacht. „Sportklub Rotter Damm“ ist mein eigenes Label, das ich zusammen mit zwei Freunden aus Hamburg nebenbei betreibe. Das ergibt alles zusammen schon einen fetten Aufgabenberg, um den man sich kümmern muss. Aber vielleicht ist genau dieser Umstand auch dafür verantwortlich, dass wir so klingen und sind, wie wir sind. Einfach kann ja jeder. Unser Plan ist auf jeden Fall, dass wir nächstes Jahr wieder mehr Shows spielen und vielleicht auch direkt an einem neuen Album arbeiten. Eine Split-EP fände ich auch mal spannend. Ideen gibt’s viele, aber eins nach dem anderen.

eclipsed: 2013 bis 2016 habt ihr in jedem Jahr einige Konzerte gespielt. In 2017 sieht es bisher mau aus.

Beyer: Wir haben bis Ende des Jahres durchaus noch ein paar Shows am Start, spielen etwa am 30.11. eine dicke Record-Release-Party in Hamburg, sind im Dezember mit The Flying Eyes unterwegs und planen gerade schon fleißig für 2018. Das Booking haben wir die ganzen Jahre immer allein gemacht und das ist ein absoluter Scheißjob. Zum Glück haben wir jetzt jemanden, der uns dabei unterstützt. Im nächsten Jahr wird’s also wieder lebendiger.

eclipsed: Aktuell floriert die deutsche Heavy-Stoner-Psych-Gitarren-Szene. Wie siehst Du die Szene?

Beyer: Die Szene dieser Musik in Deutschland würde ich schon als spannend, vielseitig und sehr kreativ bezeichnen. Da gibt’s eine Menge guter Leute und mittlerweile viele Freunde und Bekannte. Wir sind über die Jahre sicher ein kleiner Teil dieser Szene geworden, aber es gibt da aktivere Vertreter als uns, die auch deutlich mehr touren. Vor Bands wie Daily Thompson, Odd Couple oder Mother Engine und ihrem Arsch voll Shows habe ich zum Beispiel unglaublichen Respekt. Und Coogans Bluff sind natürlich als alte Fischkopp-Verbündete auch sehr wichtig. Die haben uns auch den Tourmanager Hendrik Herder ausgespannt bzw. wir müssen ihn jetzt mit ihnen teilen. Machen wir aber gerne. Dass Charlie Paschen von Coogans Bluff mit ihm unser Album macht, darüber gab es überhaupt keine Diskussion. Beste Leute mit genau dem richtigen Fokus für unsere Art und Weise der Aufnahmen. Hendrik hat zum Beispiel auch unser erstes Album produziert und ist einer unserer engsten Buddys.

*** Interview: Bernd Sievers