Dezember 2018. Im Zuge des weltweiten Interviewmarathons für ihr vierzehntes Studioalbum „Distance Over Time“ machen Dream Theater auch in mehreren europäischen Hauptstädten Station. Ihr Promotiontag in Berlin ist minutiös durchgetaktet, bis in den späten Abend geben John Petrucci und James LaBrie im Halbstundentakt Auskunft. Dreißig Jahre nach ihrem Einstand mit „When Dream And Day Unite“ präsentiert sich die Band als wiedererstarkte Einheit. Sie beschwört Kameradschaft und Kreativität und berichtet von einem neuen Umgang mit Labelverantwortlichen.
eclipsed: John, bitte stelle dir folgendes Szenario vor: Es ist 1988, Dream Theater arbeiten gerade in den Victory-Studios an ihrem Debüt „When Dream And Day Unite“. Plötzlich erscheint der DeLorean aus „Zurück in die Zukunft“, Marty McFly steigt aus und überreicht dir „Distance Over Time“. Wie hätte der John Petrucci von 1988 über das Album geurteilt?
John Petrucci: (lacht) Ich wäre vermutlich erst mal ziemlich verblüfft gewesen, dass die Band dreißig Jahre später noch besteht. Das waren schließlich unsere ersten professionellen Aufnahmen, unsere Karriere war noch in keiner Weise absehbar. Ich hätte mir vermutlich nicht vorstellen können, dass wir eines Tages so einen großartigen Sound haben würden. Vielleicht hätte ich mich auch über die Tatsache gefreut, dass wir in gewisser Weise unserem damaligen Spirit so lange treu geblieben sind.
eclipsed: Wie beurteilst du „Distance Over Time“ also vor diesem Hintergrund?
Petrucci: Jedes unserer Alben repräsentiert immer auch den jeweiligen Stand der Band und seiner Mitglieder. Wir wachsen mit jedem Jahr, das wir auf der Erde verbringen. Sei es als Menschen oder als Musiker. Man hört die Erfahrungen, die Tourneen, die Studioaufenthalte. Wir möchten schon nahe bei uns selbst bleiben – ohne dabei auf allzu ausgetretenen Pfaden zu wandeln. Jedes neue Album ist zunächst wie ein leeres Blatt, das wir mit frischen Ideen oder Herangehensweisen füllen wollen.
eclipsed: Ihr habt euch dafür diesmal in ein Studio auf dem Land zurückgezogen.
James LaBrie: Ja, das war eine ganz bewusste Entscheidung. Es war sehr cool, ein altes Bauernhaus in Upstate New York, das der Vorbesitzer zu einem großartigen Studio mit viel Holz umgebaut hat. Der Sound dort ist unglaublich. Dort waren alle zusammen, ohne irgendwelche Ablenkungen, und wir haben uns gegenseitig angestachelt. Niemand ging abends nach Hause, niemand hatte noch irgendwelche Termine – wir waren einfach alle da, ohne Verpflichtungen, und konnten uns auf die Musik konzentrieren. Ich denke, das ist der Grund, dass das Album diese Energie, diesen Spirit, diesen organischen Sound hat. Wir haben viel geredet, gegrillt, ein Glas Wein zusammen getrunken, also all das gemacht, was zwischenmenschlichen Kontakt so ausmacht.