MASTODON - Martialische Klangmedizin

22. November 2021

Mastodon

MASTODON - Martialische Klangmedizin

Rhythmusgitarrist Bill Kelliher ist ein Baum von einem Kerl, gegen den man nicht im Armdrücken oder Fingerhakeln antreten sollte. Obwohl er auf den ersten Blick eher mürrisch wirkt, erweist er sich als charmanter Gesprächspartner. Ganz anders als etwa Tool-Frontmann Maynard Keenan verschanzt er sich nicht hinter triefender Ironie und künstlerischer Unnahbarkeit, sondern spricht ausführlich über das achte Mastodon-Werk „Hushed And Grim“ und die ihm zugrunde liegenden persönlichen Erfahrungen und Gefühle. 

eclipsed: Wie auf „Emperor Of Sand“ geht es auch auf „Hushed And Grim“ um eine emotionale Aufarbeitung eines Todesfalls im Bandumfeld. Handelt es sich demnach um eine Fortsetzung?

Bill Kelliher: Na ja, es geht auch diesmal darum, wie wir als Band damit klarkommen, Freunde und Familienmitglieder zu Grabe zu tragen. Keine Ahnung, ob das eine altersbedingte Sache ist, ob es also mit Ende 40/Anfang 50 normal ist, Menschen zu verlieren. Im Fall von „Emperor Of Sand“ war es meine Mutter, die an einem Gehirntumor gestorben war, und das war eine fürchterliche Erfahrung. Ich habe Tage an ihrer Seite verbracht, um sie nicht allein im Hospiz zu lassen. Und vor „Hushed And Grim“ haben wir Nick John verloren, der nicht nur der Manager der Band war, sondern auch ein sehr guter Freund. Sein Tod hat uns so hart getroffen, dass jeder Song auf diesem Album von ihm handelt. Dabei hatte ich für meinen Teil nicht damit gerechnet, dass es so weit kommen würde. Das ist mir erst kurz vor seinem Tod bewusst geworden, als ich ihn im Krankenhaus besucht und erkannt habe, wie schlimm es um ihn stand. Davor dachte ich: „Er ist jung und stark – er wird es schaffen.“ Doch das war nicht der Fall, und das zu akzeptieren, war schlimm. Ich habe dann diese negative Energie genommen und sie in heftigen, emotionalen Stücken verarbeitet.

eclipsed: Also Musik als Selbsttherapie?

Kelliher: Im Grunde ist sie eher therapeutisch für die Hörer, die ja wissen, dass sie einen schmerzhaften Ursprung hat. Und ich erhalte etwa zehn E-Mails pro Tag, in denen es heißt: „Ich habe meine Schwester durch Selbstmord verloren, und obwohl ihr Jungs in dieser erfolgreichen Metal-Band spielt, gebt ihr mir das Gefühl, dass ihr alles, was ich gerade durchmache, selbst erlebt habt.“ Das haben wir. Denn wir sind Menschen – und dass wir in einer erfolgreichen Band spielen, macht keinen Unterschied. 

eclipsed: Wobei es manchmal so rüberkommt, als würdet ihr Lebenshilfe geben wollen – als wären eure Songs eine Anleitung für den Umgang mit fiesen Nackenschlägen. Sind sie das, oder ist das zu hoch gegriffen?

Kelliher: Ganz ehrlich: Eine der größten Leistungen dieser Band sind die Texte – aus dem einfachen Grund, dass sich da so viel hineininterpretieren lässt. Mich erinnert das daran, wie ich in den 70ern und 80ern - also als Kind - Bands gehört und gedacht habe: „Klarer Fall, die singen über dies und das.“ Dabei ging es um etwas ganz anderes. Doch das Ganze war so formuliert, dass es in der Fantasie des Hörers für bestimmte Bilder und Assoziationen gesorgt hat. Bei Mastodon ist es genauso: Wenn man seinen Kopfhörer aufsetzt, die Augen schließt und die Texte im Verbund mit der Musik auf sich wirken lässt, erzeugt das alle möglichen Gefühle. Sprich: Es bedeutet das, was du darin erkennen möchtest. Es ist nicht: „Hi, ich bin so und so und erzähle hier, wie mein Vater mich als Kind misshandelt hat.“ Die Texte von Mastodon sind eher mehrdeutig.

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