Die Folgen der Pandemie sind unvorhersehbar: Wer hätte gedacht, dass Paul McCartney vierzig Jahre nach „McCartney II“ noch einen dritten Teil seiner Do-it-yourself-Albumreihe einspielen würde? „Wenn ich schon mal allein in meinem Studio eingeschlossen bin“, dachte sich der inzwischen 78-jährige Ex-Beatle während des Lockdowns im Frühjahr, „kann ich doch auch ein bisschen Musik machen …“ Anlässlich der Veröffentlichung von „McCartney III“ am 11. Dezember beleuchtet eclipsed die Geschichte hinter einer eigenwilligen Albumtrilogie.
Tatsächlich waren auch die ersten beiden „McCartney“-Alben eher Zufallsprodukte, die zugleich symptomatisch für die jeweilige Zeit waren, in der sie entstanden. Im Übrigen hatte sowohl das 1970er- als auch das 1980er-Werk auf jeweils eigene Weise eine schockierende Wirkung auf Kritiker und Fangemeinde.
1970: „McCartney“ – Fragmente und unfertige Ideen
Um nachzuvollziehen, wieso McCartneys Solodebüt bei seiner Veröffentlichung die Erwartungen vieler Fans und Kritiker so stark enttäuschte, muss man sich vergegenwärtigen, auf welch hohem produktionstechnischem wie kompositorischem Niveau die Beatles mit ihrem letzten Album „Abbey Road“ angelangt waren. Gemeinsam mit George Martin hatten sie zum Abschluss ihrer Karriere noch mal ein soundtechnisches Wunderwerk vollbracht, voller großer Songs und ausgefeilter Arrangements – und dann veröffentlichte mit Paul McCartney ausgerechnet derjenige, der als der Perfektionist der Fab Four galt, bereits im Mai 1970 ein inkongruentes Album voller Songfragmente und unfertiger Ideen. Von Lennon hatte man den Minimalismus des Ende 1970 veröffentlichten Albums „Plastic Ono Band“ ebenso erwartet wie von Harrison das Schwelgerische seines Songalbumdebüts „All Things Must Pass“. Doch was war mit dem guten Macca los, dass er sein Publikum mit unausgegorenen Songs traktierte?
Gut, mit „Maybe I’m Amazed“ war auf dem Album eines seiner, wie man heute weiß, größten Solostücke enthalten, und auch „Every Night“ geht als fertig komponierter, überaus gelungener Song durch, während die wunderbare Miniatur „Junk“ ein Überbleibsel des „Weißen Albums“ war. Aber der besoffen klingende Opener „The Lovely Linda“, das extrem reduzierte „That Would Be Something“ oder Seltsames wie „Momma Miss America“? Viele sahen das Album geradezu als eine Art Verzweiflungstat an, als wäre McCartney nach den ertragreichen Beatles-Jahren nichts mehr eingefallen. Andere interpretierten es als Befreiungsschlag: Endlich konnte Paul machen, was er wollte und wie er es wollte, und wenn er Lust hatte, etwas ebenso Spontanes wie Intimes zu veröffentlichen, dann tat er es eben. Dies war der Luxus, den sich ein Ex-Beatle leisten konnte. Erst mit einigen Jahrzehnten Abstand erkannten einige Rezensenten gerade im Unfertigen und Unperfekten des Werks eine besondere Qualität. McCartney selbst bezeichnete es gegenüber dem „Rolling Stone“ angesichts seines Do-it-Yourself-Ansatzes als Vorwegnahme dessen, was später als „Indie“ bezeichnet werden sollte ...