REINHARD LAKOMY & TANGERINE DREAM - Elektronische Ost-West-Connection

REINHARD LAKOMY & TANGERINE DREAM - Elektronische Ost-West-Connection

1980 trat Tangerine Dream als erste westdeutsche Rockband in der DDR auf. Dass es dazu kam, verdankte sie auch dem ostdeutschen Komponisten, Pianisten und Sänger Reinhard Lakomy. In der Folge wurde ihm sogar der Einstieg in die Gruppe angeboten. Dazu kam es zwar nicht, dafür aber zum West-Ost-Transfer eines Moog-Synthesizers, der einst Mick Jagger gehört hatte. Für die ostdeutschen Rockmusikfans war es 1980 die Sensation,  für die westdeutschen „Spiegel“-Redakteure eine Randnotiz: „Tangerine Dream auf DDR-Trip“. Die West-Berliner Elektronikband, die so oft „über schlechte Auftrittsmöglichkeiten an ihrem Wohnsitz gemault“ habe, dürfe ihre Synthesizerklänge nun erstmals „optimal“ in Berlin präsentieren – allerdings in Ost-Berlin: Für den 31. Januar 1980 seien im Palast der Republik gleich zwei Konzerte inklusive Lasershow vor insgesamt 5800 Zuschauern geplant, vermeldete das Hamburger Nachrichtenmagazin knapp das historische Ereignis. 

Tatsächlich waren die beiden Gigs (um 16 Uhr 30 und 20 Uhr) im Rahmen der Veranstaltungsreihe „DT64 Jugendkonzert“ die ersten einer westdeutschen Rockgruppe in der DDR überhaupt. Zu verdanken hatten Tangerine Dream – zu denen damals noch Christoph Franke und Johannes Schmoelling gehörten – dies vor allem der Art ihrer Musik, die Froese 1980 als „wertfrei“ bezeichnete. Sphärische Klänge gänzlich ohne Text – da war die Gefahr unerwünschter Interpretationen äußerst gering. Darüber hinaus half der weltberühmten Band, dass sich ein Ost-Berliner Musikerkollege sehr für ihren Auftritt stark machte: Reinhard Lakomy. „Lacky stand mit Edgar Froese in gutem Kontakt. Er hat mit dafür gesorgt, dass Tangerine Dream im Palast der Republik auftreten durften“, erzählt Monika Ehrhardt-Lakomy, die Witwe des 2013 verstorbenen Musikers. „Lacky war mit jemandem befreundet, der im DDR-Kulturministerium für Unterhaltung zuständig war. Ihm hatte er nahegelegt, doch auch Tangerine Dream in der Jugendkonzert-Reihe spielen zu lassen, in der er selbst mit elektronischer Musik auftrat.“  

Die Empfehlung hatte offenbar Gewicht, was wohl auch am guten Namen des Fürsprechers lag: Reinhard Lakomy gehörte nicht nur zu den bekanntesten Musikern in der DDR, sondern auch zu den vielseitigsten. Angefangen hatte er mit 16 als Jazzpianist, dann wurde er Sänger, Leiter eines eigenen Rockensembles, Songwriter, Arrangeur, Filmkomponist und, gemeinsam mit seiner als Schriftstellerin tätigen Frau, Erfinder einer Art neuen Kindermusikgenres: „Geschichtenlieder“. (Am bekanntesten ist das Album „Der Traumzauberbaum“, das sich insgesamt fünf Millionen mal verkaufte.) 

Und auch als Elektronikmusiker hinterließ Lakomy tiefe Spuren: „Im Osten galt er nach seiner ersten Elektronik-LP 1981 [„Das geheime Leben – Electronics“, Anm.] als ‚Papst der elektronischen Musik‘. Er war besessen von Klängen, die die materielle Welt nicht freiwillig rausrückt, die er mit konventionellen Instrumenten nicht hörbar machen konnte“, sagt seine Witwe. „Deshalb wollte er seine Klänge selbst programmieren und arbeitete ab etwa 1979 auch mit Ingenieuren zusammen, sogar an einem Programm für Spracherkennung.“ Einmal sei er auf einer Messe in New York gewesen, wo wohl auch der Kontakt zu ein paar Hamburger Entwicklern zustande gekommen sei, mit denen er in den 80er-Jahren zusammenarbeitete. Er habe sogar regelmäßig nach Hamburg fahren dürfen, um bei der Computer- und Softwarefirma C-LAB an der Entwicklung eines Notenschreibprogramms mitzuwirken – das im Übrigen zur Basis für das Musikproduktionsprogramm „Logic“ wurde, das nach der Übernahme der Firma durch Apple in die Macintosh-Software für professionelle Anwender sowie Einsteiger integriert wurde. 
„Auch Edgar Froese hat Lacky sehr geschätzt, weil er ihn für einen Top-Komponisten und -Pianisten hielt“, sagt Monika Ehrhardt-Lakomy. „1980 sollte er sogar auf eine Australientour mitkommen. Das hätte Lacky gern gemacht, aber das Politbüro der DDR wäre im Viereck gesprungen. Außerdem wollte Edgar Froese, dass er dann auch festes Bandmitglied werden würde. Bei der Tournee wäre Lacky schrecklich gern dabei gewesen, aber für immer weggehen, das hatte er nie vor.“ 

Letztlich ist Reinhard Lakomy also nie mit Tangerine Dream zusammen aufgetreten – wenn man davon absieht, dass sie im Januar 1980 am selben Ort zur fast gleichen Zeit innerhalb der DT64-Konzertreihe spielten. Bei der Gelegenheit war Lakomy auch der große Moog-Synthesizer aufgefallen, den Tangerine Dream zusammen mit ihrem übrigen Equipment per Sattelschlepper zum Palast der Republik gebracht hatten. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Gerät schon eine erstaunliche Odyssee hinter sich. Die analogen Synthesizer von Robert Moog galten in den späten 60ern bei Bands, die sie sich leisten konnten, als „heißester Technikscheiß“. Einen hatte Moog auch für Mick Jagger gebaut, allerdings hätten der und seine Stones-Kollegen mit dem Instrument nicht umgehen können, wie der Erfinder später erzählte. Jagger verkaufte es deshalb an Tangerine Dream, die es nach Ost-Berlin mitnahmen – aber nicht wieder zurück in den Westen: „Beim Konzert sah Lacky, dass Tangerine Dream ihren großen Moog-Synthesizer auf der Bühne kaum verwendeten, der blinkerte eigentlich nur als Fake. Daraufhin hat er Edgar Froese angesprochen und ihn ihm für 11.000 D-Mark abgekauft, mit einem abenteuerlichen Kredit. So landete das Ding, das aus lauter Modulen bestand und groß wie ein Kleiderschrank war, bei uns im Haus in unserem Tonstudio.“ 

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