„Westend“, so nennt sich das vielversprechende Debüt der Tausend Augen. Mit ihrem Mix aus Postpunk und Krautrock zieht das Trio aus dem Saarland momentan die Aufmerksamkeit auf sich. Auch bei uns: Ihr Titel „Mana Mana“ feierte Mitte Januar seine Exklusivpremiere auf der eclipsed-Website. Zeit, etwas mehr über die Band herauszufinden.
eclipsed: Zunächst einmal: Wer steckt hinter den Tausend Augen?
Max Ludwig: Wir sind Alexander Schimetzky (Drums), Oliver Becker (Vocals, Gitarre, Synth) und Max Ludwig (Bass). Wir kennen uns seit unserer Schulzeit und haben schon in den verschiedensten Konstellationen zusammen auf der Bühne gestanden. Daher fühlt sich das Bandgefüge auch ziemlich natürlich und vertraut an.
eclipsed: Die Frage ist wohl obligatorisch: Wie seid ihr auf den Bandnamen gekommen?
Oliver Becker: Wir wollten etwas, das sich von typischer Namensästhetik abgrenzt, nicht direkt auf eine bestimmte Musikrichtung verweist und ohne unmittelbaren Genrebezug funktioniert. Zusätzlich gibt es da einen losen Bezug auf „Die Tausend Augen des Doktor Mabuse“ sowie die durch den Namen und diese Verbindung transportierte Atmosphäre der Paranoia und Dystopie, was ganz gut zur Musik passt.
eclipsed: Ihr spielt einen Mix aus Post-Punk, Krautrock und Elektro/NDW. Wie darf man sich das vorstellen? Je einer von euch kommt aus je einer Richtung und ihr schmeißt im Proberaum dann alles zusammen?
Becker: Die Musik ist kein bewusster Mix aus Genres, sondern von musikalischen Elementen, die eben auch in manchen dieser Genres vorkommen. Reduktion, Motorik und Wiederholung, die sowohl im Krautrock, Post-Punk, Psychedelic Rock, aber sehr stark auch in Techno und elektronischer Musik vorkommen, sind wichtige Stilmittel. Weiterhin geht es um Songstrukturen, die sich nicht unbedingt an die standardisierten Muster halten, sowie das Erschaffen von ungewöhnlichen, ausdrucksstarken Sounds. Sounds, die als Hooks funktionieren. Auf mich hat die NDW keinerlei Einfluss, ich besitze und kenne so gut wie keine Tonträger, die dieser Richtung zugeordnet werden könnten – musikalische Gemeinsamkeiten sind da zufällig.
Ludwig: Wir haben alle drei eine ähnliche musikalische Sozialisation durchlaufen und das spiegelt sich auch in der Musik wider. Bei der Frage: „Beatles oder Stones?“ würden wir vermutlich einheitlich „Kraftwerk“ sagen. Bei „Kraftwerk oder Stooges?“ wird’s schwierig und bei „Black Sabbath oder Gang Of Four?“ würden wir vermutlich unterschiedliche Antworten geben. Das mit der Nähe zu NDW haben wir schon öfters gehört und klar, da gibt’s musikalisch Überschneidungen mit DAF, frühen Abwärts oder Bands wie z.B. Malaria!. Obwohl das, wie gesagt, kein bewusster Einfluss ist. Es gibt vermutlich ähnlich viele NDW- wie Krautrock-Bands, mit denen wir gar nichts anfangen können.
eclipsed: Ihr habt auf Spotify eine Playlist mit dem Titel „The songs that made Westend“ hochgeladen. Dort findet sich von Tangerine Dream über Can und Kraftwerk bis hin zu Sonic Youth ein buntes Potpourri. Wie eklektisch seht ihr euch selbst?
Becker: Ich finde gar nicht, dass die genannten Bands so weit voneinander entfernt sind, da sie alle Extreme in Sounds und Struktur ausloten und sich von gängigen Popsongstrukturen befreit haben. Ebenso gibt es etliche aktuelle Bands, die ähnliche Ansätze verfolgen und mit denen eine gewisse ästhetische Schnittmenge besteht. Insgesamt sind aktuelle Einflüsse wie zum Beispiel viel elektronische Musik mindestens genauso zentral wie Bezüge auf ältere Bands. Aber nicht alles, was man hört, hat Platz im Bandsound. Unwahrscheinlich, dass sich Power Metal, Bossa Nova oder Acid Folk direkt niederschlagen.
Alexander Schimetzky: Genau! Es bringt jeder vielfältige musikalische Vorlieben mit in die Band ein. Entscheidend ist, was man im Zusammenspiel abruft, und das passiert intuitiv, nicht im Schubladenraster. Deshalb lassen sich die Songs auch nicht kategorisieren, sondern stehen ziemlich eigenständig da.
Ludwig: Klassische Punk-, Hardcore-, Blues- oder Metalbands sind vermutlich eklektischer. Wir haben mittlerweile ziemlich genaue Vorstellungen von dem, was wir machen wollen und dadurch einen eigenen Bandsound entwickelt, ohne viel nachzuahmen. Andererseits hatten wir nie die Intention, das Rad neu zu erfinden. Wir sind eben in erster Linie auch Musikfans.
eclipsed: In euren Videoclips tragt ihr silberne Ganzkörperanzüge. Was hat es damit auf sich? Euer scherzhafter Kommentar dazu: „Besser als jede ffp2-Maske“.
Schimetzky: Unser erstes Video ist in Zusammenarbeit mit „KeineZeitMedien“ entstanden, die stark mit analogen Effekten arbeiten. Dazu bot sich ein Greenscreen-Setting an, und der zusätzliche Effekt, dass sich das Grün in den Anzügen spiegelt, machte die Sache doppelt spannend. Als zusätzlicher Nebeneffekt fokussiert der Anzug auf die Band und rückt das Individuum in den Hintergrund. Abgesehen davon ist dieses Outfit aber kein Leitthema für uns, und ffp2-Masken sind hoffentlich irgendwann auch mal kein Thema mehr.
Ludwig: Wir hatten Pascal Hector von „KeineZeitMedien“ beim Videodreh freie Hand gelassen. Unsere einzige Vorgabe war, dass wir kein klassisches Rockvideo wollen, bei dem wir gefilmt werden, wie wir mit unseren Instrumenten zu einem Playback spielen. Er meinte dazu nur: „Aber genau das machen wir: Beat Club ʼ72 auf Acid“. Er hat dann auch die Anzüge aufgetrieben. Und ja, dicht sind sie wirklich. Das ultimative Outfit für die Pandemie.
eclipsed: Wie wichtig sind euch die Texte im Verhältnis zur Musik?
Becker: Wichtig in dem Sinne, dass auf der einen Seite eine gewisse Atmosphäre durch Texte verstärkt und transportiert werden kann. Und auf der anderen vermeidet man durch deutsche Texte die häufig vorkommende Beliebigkeit, die entstehen kann, wenn man als Deutscher englische Texte singt und davon ausgeht, dass es eh keiner versteht und es deswegen egal ist, was man singt. So wären Texte dann eine verschenkte Ausdrucksmöglichkeit. Durch deutsche Texte wird man verstanden, kann sich nicht hinter der Sprache verstecken und erreicht Zuhörer direkter – man sollte sich daher auch Gedanken machen, was man so von sich gibt. No-Gos auf textlicher Ebene sind Befindlichkeits- und Betroffenheitslyrik. Trotzdem ist es wichtig, Aussagen zu treffen, die mit der Welt um einen herum in Beziehung stehen. Die Texte haben konkrete Themen wie sich in dystopische Szenarien entwickelnde Gesellschaftszustände; in „Westend“ sind das beispielsweise die Dekadenz und der Verfall westlicher Gesellschaften, in „White Noise“ bedenkliche politische Tendenzen und Entwicklungen.
eclipsed: Auf der eclipsed-Website habt ihr exklusiv den Song „Mana Mana“ vorgestellt. Könnt ihr uns etwas speziell zu diesem Titel und dem dazugehörigen Clip erzählen?
Becker: Das Video wurde im Rahmen der Melting-Butter-Sessions im Rama-Studio in Mannheim aufgenommen – es war eine Herausforderung, live in den silbernen Anzügen zu spielen. Textlich geht es um Themen wie Paranoia in einer überwachten Welt, inkompetenten und verantwortungslosen Mächtigen ausgeliefert zu sein und um den erfolglosen Versuch des Einzelnen, einem anonymen Kontrollsystem zu entfliehen.
Ludwig: Der Titel hat etwas Lautmalerisches: repetitiv und monoton. Ich spiele beispielsweise auf dem Bass im Prinzip fast durchgängig den gleichen Lauf und den gleichen Ton: simpel, stumpf und primitiv.
eclipsed: Wie liefen die Aufnahmen zu „Westend“ ab? Im Presseinfo ist von einer Ästhetik die Rede, welche 50 Jahre alte Mikrofone und Tonbandgeräte mit moderner Aufnahmetechnik zusammenkommen lässt.
Ludwig: Wir haben unsere Musik eigentlich schon immer selbst aufgenommen. Da sammelt sich im Laufe der Jahre ziemlich viel Kram an, Instrumente wie auch Aufnahmeequipment. Da sind ganz alte, aber auch moderne Sachen dabei. Im Prinzip das, was uns zum Ziel bringt. Und das waren eben auch ganz klassische „Old School“-Aufnahmetechniken. Je einfacher, desto besser: ein paar Mikrofone aufstellen und den Grundstock der Songs live einspielen. Ohne Clicktracks oder programmierte Beats schwanken die Tempi natürlich, dafür bleiben die Songs aber organisch und behalten ihre natürliche Dynamik.
eclipsed: Auf eurer Homepage sind Tourdaten für 2022 angekündigt. Unter anderem für den 31.02. und im Blue Mosque Cafe… Was hat es damit auf sich?
Ludwig: Das ist einfach ein Platzhalter, weil wir nicht „tba“ schreiben wollten und da die Situation im Kulturbereich im Moment so absurd ist, stehen dort auch absurde Termine und Venues – außerdem konnten wir so eine Spinal-Tap-Referenz unterbringen. Am Tag nach dem VÖ-Termin unserer Platte hat sich schon ein wenig das Gefühl von Leere breit gemacht. Es hat sich komisch angefühlt, so ganz ohne Release Show und ohne Konzerte in Aussicht zu haben. Live zu spielen war immer ein Hauptantrieb der Band. Wir hoffen wirklich, dass wir das bald wieder tun können und dann auch noch etwas von der bisherigen Clublandschaft übriggeblieben ist.