Zehn Jahre lang hielten Gentle Giant den progressiv orientierten Teil der Rockwelt mit ihrem außergewöhnlichen Klangkosmos in Atem. Dem Sextett um die Brüder Derek, Phil und Ray Shulman – allesamt begnadete Sänger, allesamt begnadete Multiinstrumentalisten – war zwischen 1970 und 1980 kein Experiment im Spektrum von Klassik, Rock, Folk oder Pop zu gewagt, um sich nicht darauf einzulassen. Dieser Tage ist der von Steven Wilson gemixte Sampler „Three Piece Suite“ erschienen, darauf enthalten: elf Stücke der legendären ersten Studioalben „Gentle Giant“, „Acquiring The Taste“ und „Three Friends“.
Mitte der Sechzigerjahre beschlossen die außergewöhnlich musikalischen Brüder Derek, Phil und Ray Shulman, gemeinsam eine Karriere zu starten und gründeten in ihrer Heimat Schottland ihre erste Band The Howling Wolves. Aus der R&B-Truppe wurde bald The Road Runners und 1967 schließlich die psychedelisch angehauchten Simon Dupree And The Big Sound. Die konnten mit „Kites“ einen Top-Ten-Hit verzeichnen – und wussten für kurze Zeit live einen Keyboarder namens Reginald Dwight an ihrer Seite, der bald darauf als Elton John eine Weltkarriere starten würde. Da sich außer mit „Kites“ nichts tat in der kommerziellen „Big Sound“-Karriere, löste sich die Formation 1969 auf. Die Shulmans gründeten im Jahr darauf Gentle Giant, die einen radikal anderen musikalischen Ansatz verfolgten.
Geprägt von jungen Acts wie Genesis, Yes oder King Crimson, tüftelten die Brüder einen Stil aus, der sich weder an Grenzen, Stile noch Normen hielt. Progressiv eben. Und selbst wenn Gentle Giant mit ihren elf Studiowerken und dem Liveklassiker „Playing The Fool“ die Charts nur von hinten beziehungsweise gar nicht sahen, ist der wagemutige Haufen bei Kennern bis heute eine der Säulen des klassischen Prog.Nachdem sich Gentle Giant 1980 aufgelöst hatten, verstreuten sich die Musiker in alle Winde. Die Brüder blieben lose in Kontakt, gingen aber unterschiedlichen Berufen nach: Ray schrieb Musik für Kino und Fernsehen und tat sich als Produzent hervor, Phil betrieb mit seiner Frau einen Geschenkeladen, Derek war zunächst als Vizepräsident von PolyGram Records tätig, heute betreibt er ein eigenes Label.
Derek ist es auch, der eclipsed zum jetzt erschienenen Sampler „Three Piece Suite“ Auskunft gibt.
eclipsed: Warum habt ihr genau diese elf Titel von euren ersten drei Alben, die sich nun auf „Three Piece Suite“ finden, ausgewählt und von Steven Wilson remixen lassen?
Derek Shulman: (lacht) Die Antwort ist einfach, es waren die absolut einzigen Stücke, von denen wir die Masterbänder gefunden haben. Sämtliche anderen Originale sind verschwunden, im Orkus der Zeit. Die werden wohl nie wieder auftauchen. Aber wir sind überzeugt davon, dass exakt dieses knappe Dutzend Songs einen sehr repräsentativen Querschnitt dessen bietet, wofür Gentle Giant in ihrer Anfangsphase standen.
eclipsed: Welchen Einfluss hatte Steven Wilson auf dieses Projekt?
Shulman: Einen immensen, denn dieser Mann ist nicht nur seit Jahren ein Freund von uns und seit seiner Jugend großer Gentle-Giant-Fan, sondern er ist auch ein Studiocrack, der sich in jedes Stück, das er bearbeitet, extrem einfühlt und ihm dadurch die nötige Transparenz, den modernen Touch verleiht. Schade ist nur, dass Steven lediglich 24-Spur-Bänder vorliegen hatte. Wenn er welche in besserer Qualität bekommen hätte, hätte er definitiv noch mehr aus den Liedern herausgeholt. Wie auch immer: Der Bursche hat an beinahe verloren geglaubten akustischen Erinnerungen einen grandiosen Akt der Wiederbelebung vollzogen. Alle Beteiligten sind sehr stolz auf das Ergebnis.