KRAAN - Holdrio im Damenklo

30. Januar 2024

Kraan Krautrock

KRAAN - Holdrio im Damenklo

Hellmut Hattler hat gut lachen. Denn der Bassist und Sänger von Kraan hat mit seinen Kompagnons Peter Wolbrandt (Gitarre) und Jan Fride (Schlagzeug) soeben das neue Studio-Album „Zoup“ veröffentlicht, auf dem sich die Ulmer Jazzrocker in famoser Form präsentieren. Anstelle von ausufernden Improvisationen, die die Gruppe in den 1970er Jahren zu einer Live-Attraktion machten, gibt es darauf überwiegend kompakte Kompositionen zu hören, die angenehm ins Ohr gehen und gleichzeitig das unnachahmlich groovige Zusammenspiel der drei Jugendfreunde in den Fokus rückt. 

Mit „Zoup“ schließt sich für Kraan ein Kreis. Denn Hellmut Hattler sieht dieses Album als Rückkehr zu seiner „Ur-DNA“, wobei ihm das Songwriting dieses Mal ungewöhnlich leicht fiel. Außerdem ist zumindest auf der CD-Version neben dem verstorbenen Ex-Keyboarder Ingo Bischof auch der ehemalige Saxophonist Johannes „Alto“ Pappert zu hören, was Hattler ebenfalls mit Freude erfüllt. Im Laufe des morgendlichen Interviews äußert sich der vielseitig aktive Schwabe nicht nur über spezielle Bandeigenheiten und die Verantwortung für die eigene musikalische Vergangenheit, sondern auch über das spannende Verhältnis zwischen künstlicher und künstlerischer Intelligenz. 

eclipsed: Euer letztes Album „Sandglass“ entstand ja im Lockdown-Modus mit Hilfe von Filesharing. Bei „Zoup“ müsste der Entstehungsprozess wieder viel einfacher gewesen sein, oder? 

Hellmut Hattler: Ja, allerdings haben wir massiv auf die Erfahrungen der „Sandglass“-Produktion zurückgegriffen. Ich habe nämlich festgestellt, dass die Jungs in ihrer trauten Umgebung besser funktionieren, als wenn man im Studio sitzt und der Produzent sagt.: „Los, Jungs! Ich habe nicht alle Zeit der Welt!“ Das war schon in der Schule so: Immer wenn Jan Fride, der damals mein Nebensitzer war, an die Tafel gerufen wurde, hatte er nicht viel zu erzählen, vermutlich weil er unter Leistungsdruck stand – wie auch immer: Zuhause spielt er wie ein Gott, im Studio stand früher aber allzu oft die Leistung auf Abruf im Vordergrund. Durch den Lockdown haben wir kapiert: Es ist ganz toll, wenn man alle in dem Augenblick spielen lässt, wenn sie lustig sind, und Kraan ist einfach eine Lustkapelle. 

eclipsed: Was war deine Grundmotivation bei diesem Album? 

Hattler: Ich hatte die Vision, dass man diesen merkwürdigen Fake-News-Zeiten mit einer guten Dosis Echtheit begegnen sollte. Ich dachte: Bevor ich jetzt auch noch anfange medial rumzupolemisieren – was mir total unsympathisch ist –, gucke ich mal, was ich an Positivem anbieten kann – sowas wie meine musikalische Ur-DNA. Dabei wurde auch schnell klar, dass es stilistisch eher um Kraan geht als um etwas anderes. Ich bin dann direkt ins Studio gegangen, wo ich meine Bässe eingespielt habe und meine Pilotspuren mit Melodien und Texten draufgelallt habe. (lacht) Diese Aufnahmen habe ich dann an die anderen geschickt und war sehr erfreut, dass alle begeistert mitgemacht haben. Danach bin ich zur Hochform aufgelaufen: Mir fiel immer mehr ein, und zwischendurch kam auch öfters mein Lieblingskeyboarder Martin Kasper ins Studio. Nur ein einziges Mal hatten wir nachmittags in einem Club Zeit, um alle gemeinsam an einem Titel rumzufummeln. Ansonsten wurde alles, wie auch bei „Sandglass“, mit Hilfe von Filesharing aufgenommen. 

eclipsed: Nachdem du bei deinem Soloprojekt Hattler oft mit Programming gearbeitet hast, scheinst du bei „Zoup“ wieder große Lust auf organisches Musizieren verspürt zu haben.

Hattler: Diese Programmier-Geschichte in Zusammenarbeit mit DJs und Ambient-Musikern war eine Zeitlang hochinteressant – das begann schon bei Tab Two, und als ich im Jahr 2000 mit meiner Band Hattler anfing, ging es damit weiter. Ich habe das mehr als 20 Jahre gemacht, und mir fiel auch immer was ein, obwohl sich das alles immer mehr oder weniger in einer Tonart abgespielt hat. Letztes Jahr kam mein Freund Peter Musebrink vorbei und brachte wieder coole Sachen mit, aber ich stellte fest: Ich fange an, mich zu wiederholen. Denn wenn du in einer Tonart Themen entwickelst, stößt du irgendwann an ein Limit. Schon vor drei, vier Jahren, habe ich angefangen, sowohl für meine Band Hattler als auch für Kraan wieder Stücke mit richtigen Arrangements und Harmonieabläufen zu schrieben. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht. Im Sommer 2022 saß ich dann unter meiner Traubenpergola, und die Dinge flossen irgendwie aus mir raus. Ich hatte das Gefühl: Jetzt bin ich da, wo ich hingehöre! Vielleicht hat es auch was mit dem Alter zu tun, dass man sich daran erinnert, wo man herkommt und das, was man früher gemacht hat, nicht mehr allzu blöd findet. Das habe ich zwar nie, dennoch habe ich mich manchmal ein bisschen sarkastisch über die Hippie-Musik geäußert, was ein ziemlich arroganter Scheiß ist, denn es haben sich im Laufe der Zeit immer mehr Leute bei mir gemeldet, die gesagt haben: „Du hast den Soundtrack meines Lebens geliefert.“ Da wurde mir bewusst, dass ich auch eine gewisse Verantwortung habe. Ich sehe es vermehrt als meine Aufgabe, Sachen abzuliefern, die so authentisch sind, dass sie anderen Leuten auch guttun.

eclipsed: Dieses Mal stammen alle Stücke von dir. Wollten Peter Wolbrandt und Jan Fride nichts beisteuern? Oder warst du einfach dermaßen im Flow? 

Hattler: Beides. Ich habe die anderen natürlich ständig militant genervt und gefragt: „Habt ihr nicht was an neuen Titeln am Start?“, aber ich glaube, dass Peter derzeit einfach keine Ambitionen hat, Songs zu schreiben, daher sagte ich: „Ok, dann mache ich einfach so lange weiter, bis es für eine LP reicht.“ 

eclipsed: Während auf „Sandglass“ sieben von 13 Stücken mit Gesang waren, gibt es auf „Zoup“ nur zwei Titel, die von dir gesungen wurden. Warum der Fokus auf Instrumental-Stücke?

Hattler: Ich habe mich ganz klar ins Kraan-Universum gezoomt und wusste: Jan spielt diese und jene Grooves super, und Peter kann super über diese und jene Harmonien spielen. Außerdem ist die Tradition von Kraan hauptsächlich instrumental geprägt. Ich habe mich auch auf Live-Versionen einiger Titel besonnen, die gut funktionieren, denn das ist es, was die Band ausmacht. Songs zu schreiben und dann live einfach runterzuspielen, ist nicht unsere Stärke – Kraan braucht immer eine Art musikalisches Gerüst, an dem wir herumturnen können. Ich hatte auch das Gefühl: Wenn ich jetzt mit einem Haufen normaler Songs ankomme, wird’s schon wieder schwieriger, weil wir einfach keine ausgesprochene Vokalkapelle sind. (lacht)

Das komplette Interview ist Teil unseres Online-Abos, mehr Informationen hier.