ONE SENTENCE. SUPERVISOR - Radikaler Widerstand

27. September 2019

One Sentence Supervisor

ONE SENTENCE. SUPERVISOR - Radikaler Widerstand

Für die Schweizer Band One Sentence. Supervisor hat mit dem dritten Album „Acedia“ ein neues Kapitel begonnen. Durch die Hinzunahme des Oud-Virtuosen Bahur Ghazi als festes Bandmitglied hat der ureigene Krautrock der Schweizer Band eine neue Dimension und enorme Erweiterung der Klangpalette erfahren. Gegenüber eclipsed erläutert Sänger und Gitarrist Donat Kaufmann die Hintergründe.

Von Bernd Sievers

eclipsed: Mit seinen vielen stoischen Rhythmen hat „Acedia“ etwas Krautrockiges. Habt ihr euch vom Krautrock inspirieren lassen?

Donat Kaufmann: Ja, Krautrock gehört zu unseren wichtigsten Einflüssen, es ist quasi unser kleinster gemeinsamer Nenner. Mich interessiert am Kraut das Mantrahafte, die Nähe zum Mythischen. Das Repetitive in der Musik kann Vertrautheit herstellen, Gedanken beruhigen und in ungewohnte Richtungen lenken.

eclipsed: In wie weit haben die neuen Musiker Sarah Palin and den Drums und vor allem Bahur Ghazi eine Änderung bewirkt und euren Stil beeinflusst?

Kaufmann: Bahur lernten wir bereits vor zwei Jahren kennen, die neuen Songs entstanden in Zusammenarbeit mit ihm. Musikalisch sind wir in unterschiedlichen Welten aufgewachsen. Bahur spielt sehr virtuos, hat ein großes Spektrum, spielte in unterschiedlichsten Formationen – von Jazz bis zu Schweizer Volksmusik. Wir dagegen haben unsere musikalischen Erfahrungen mit dieser einen Band gesammelt und uns dabei stets an dieser nach vorne ziehenden Gitarrenmusik orientiert. Bahur fand Gefallen an der Reduktion, wir an der Komplexität, wir näherten uns schnell an. Ich finde, man hört dies auf dem Album. Es ist dichter, verstrickter als die zwei Vorgänger. Weniger auf die 12. Sarah Palin stieß leider erst einen Monat vor den Aufnahmen zur Band, da waren die Songs schon arrangiert. Wir lernten uns eigentlich erst im Studio richtig kennen. Ihre dynamische Spielart bereichert die Band aber definitiv. Wir arbeiten auch bereits wieder an neuem Material, da wird sehr viel von ihr drin sein.

eclipsed: Wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass ihr eine Oud integriert habt? Immerhin ein in der Rockmusik nicht gerade übliches Instrument.

Kaufmann: Ich lernte in den letzten Jahren viele Menschen kennen aus Syrien, Ägypten oder Afghanistan, wodurch ich auch schnell in Berührung kam mit Musik aus diesen Regionen. Die Oud spielt in dieser oft eine zentrale Rolle. Ich wollte selbst lernen, das Instrument zu spielen – ich wollte wissen, ob sie sich einbinden ließe in unseren musikalischen Kontext. Als ich dies einem befreundeten Veranstalter erzählte, meinte dieser, ich müsse unbedingt Bahur Ghazi kennenlernen, der bei ihm am Festival gespielt hatte. Wir trafen und verstanden uns auf Anhieb.

eclipsed: Das letzte Album „Temporämusik 1-13“ war eher als eine Sammlung einzelner Songs entstanden. Welche Herangehensweise an „Acedia“ hatte ihr jetzt?

Kaufmann: Der Schreibprozess war konventionell. Ich habe zuhause Songs und Texte geschrieben, anschließend haben wir sie zusammen umgesetzt. Wir hatten zuvor fünf Jahre durchgehend Konzerte gespielt und Songs veröffentlicht, die oft aus Jams entstanden waren. Es tat nun gut, sich Zeit zu nehmen, um tiefer in eine Thematik einzutauschen, Gedanken zu wälzen. Ein Album gibt dir die Möglichkeit, viele Facetten des gleichen Gefühls zu beleuchten.

eclipsed: Inhaltlich scheint es um gesellschaftliche Zweifel und ein Unbehagen gegenüber dem eigenen Tun zu gehen.

Kaufmann: „Acedia“ beschreibt eine Form der Ohnmacht oder auch Trägheit. Die Wortschöpfung stammt aus dem frühen Mittelalter. Es wurde als Acedia bezeichnet, wenn Mönche von Zweifeln befallen wurden – an ihren Glauben, am System, in dem sie lebten. Allerdings mündeten die Zweifel nie eine Handlung, denn die Konsequenzen wären zu einschneidend gewesen. Es blieb bei der Trägheit und ambivalenten Gefühlen. Sie stützten dadurch also ein System, an das sie eigentlich gar nicht mehr glaubten. Mit unserem Album suchen wir nach Analogien in der heutigen Zeit. Ich etwa fühle mich dann ohnmächtig, wenn ich mir vergegenwärtige, dass wir uns in einem Wirtschaftssystem eingerichtet haben, das uns geradewegs in den ökologischen und sozialen Kollaps führt, aus dem wir aber dennoch nicht ausbrechen können, weil unsere alltäglichen Handlungen so tief damit verstrickt sind. Wie reagiere ich als Individuum auf die Wucht einer globalen Herausforderung? Nehme ich mich zu wichtig, wenn ich glaube, ich könne etwas verändern? Und was sind die Alternativen? Um diese Fragen dreht sich das Album. Ist die Trägheit, die Ohnmacht, die Acedia, in unserem heutigen Kontext vielleicht sogar eine Form des Widerstands? Träge zu sein, Dinge zu unterlassen scheint angesichts des allgemeinen „Du musst performen“-Imperativs ziemlich radikal.

eclipsed: Ihr habt mit dem libanesisch/kanadischen Produzent Radwan Ghazi Moumneh zusammengearbeitet. Wie lief das ab? Welchen Einfluss hatte er?

Kaufmann: Ich kannte Radwan als Techniker einer meiner Lieblingsbands, Suuns, sowie wegen seines eigenen Projektes Jerusalem In My Heart. Radwan folgt als Musiker kompromisslos seiner künstlerischen Intuition. Argumente wie Zugänglichkeit sind für ihn sekundär. Seine Songs sind aufreibend und teils schwer verdaulich, das hat mich von Anfang an sehr fasziniert. Zudem ist Zugänglichkeit für mich weiterhin ein wichtiges Kriterium. Ich wollte wissen, was sich aus dieser Kombination ergibt. Auf das Songwriting nahm er keinen Einfluss, er vertraute da wiederum auf unsere Intuition. Er fokussierte sich auf die Klangästhetik.

eclipsed: Wie hat sich die Band über die Jahre seit 2011 entwickelt?

Kaufmann: Wir haben definitiv einige Schritte gemacht – als Musiker*innen wie als Band. Musikalisch sind wir flexibler geworden, wir beherrschen unsere Instrumente besser, gestalten wohl bewusster. Die vielen Konzerte haben uns zudem eine gewisse Sicherheit gegeben. Wenn ich heute nach einem miesen Konzert von der Bühne komme, habe ich nicht mehr das Gefühl, mir werde jetzt gleich die Lizenz als Musiker weggenommen. Vor ein paar Jahren war das noch anders. Der Betrieb um uns herum hat sich ebenfalls professionalisiert, mittlerweile dürfen wir mit einem internationalen Team zusammenarbeiten.

eclipsed: Ihr wart schon nach dem ersten Album außerhalb der Schweiz auf Tournee. Wie habt ihr das schon nach nur einem Album geschafft?

Kaufmann: Da war viel Eigeninitiative im Spiel. Unsere erste „Auslandtour“ hatten wir selbst gebucht, mit einer eigentlichen Tour hatte das aber wenig zu tun. Sie beinhaltete unter anderem ein Konzert in einer Prager Hotellobby vor drei betrunkenen Touristen, ein Konzert in Bratislava, bei dem wir gleichzeitig Türsteher und Barpersonal spielen mussten, weil wir offenbar den Club gemietet hatten, und ein Konzert in einer Kunstausstellung. Dort wurden wir ermahnt, leise zu spielen, schließlich sollten die Leute ungestört Kunst betrachten können. Es war eine großartige Erfahrung.

eclipsed: Im September/Oktober/November geht es jetzt auf Tour durch die Schweiz, Österreich und Deutschland und ein paar weitere Städte. Was können wir da erwarten?

Kaufmann: Starken Wellengang.

eclipsed: Hat man es als Schweizer schwerer, international Fuß zu fassen als etwa eine Band aus Deutschland? Oder hat das Internet dafür gesorgt, dass die Herkunft egal ist?

Kaufmann: Ob es schwieriger ist als in anderen Ländern, weiß ich nicht. Aber man muss schon hartnäckig sein, außer du triffst einen Nerv, wie es bei Zeal & Ardor vor drei Jahren der Fall war. Die Schweiz ist ein kleiner Musikmarkt, da wird man schon leicht übersehen. Viele ambitionierte Schweizer Musiker*innen gehen irgendwann nach Berlin oder London, weil sie sich dort bessere Chancen erhoffen. Gleichzeitig aber erlebe ich die Schweizer Musiklandschaft als äußerst lebendig, solidarisch und relevant. Da passiert gerade viel vor der eigenen Tür.