ROLAND BÜHLMANN - Kino für die Ohren

20. Februar 2023

Roland Bühlmann XXL-Interview

ROLAND BÜHLMANN - Kino für die Ohren

Roland Bühlmann aus dem schweizerischen Kanton Solothurn ist Multiinstrumentalist, Komponist und Produzent in Personalunion. Seine Alben sind schillernde Gebilde zwischen Prog und Fusion. Mit „Emnalóc“ hat er nun seine fünfte Scheibe draußen, doch bereits der Albumtitel wirft Fragen auf. Bühlmann verwendet als Autist seine sehr eigene Kunstsprache und befolgt ganz bestimmte musikalische Regeln und Rituale. Allerhand Stoff, der nach Aufklärung verlangt.

eclipsed: Du bist noch ein recht unbeschriebenes Blatt. Kannst du bitte für unsere Leser mal kurz deinen musikalischen Werdegang schildern? 

Roland Bühlmann: Mit 17 habe ich angefangen, in einer Band zu spielen als Bassist, teilweise auch an der Gitarre. Da ich sehr schnell Fortschritte machte, konnte ich bald besser Gitarre und Bass spielen als die anderen. Es wurde langweilig für mich, und ich verließ die Band wieder; habe mein ganzes Equipment verkauft und mir eine klassische Gitarre gekauft. Zuerst spielte ich klassische Stücke, aber ich habe bald gemerkt, dass ich lieber improvisiere. Es dauerte dann eine ganze Weile, bis ich mir wieder eine Elektrische kaufte. Ich habe viel für mich selbst gespielt, zwischendurch mit einem Saxophonisten und etwas intensiver als Gitarrenduo mit einem ausgebildeten Lautenisten. Da habe das erste Mal mit Loop-Pedalen gespielt. Erst etwa 2010 habe ich wieder in einer Band gespielt, die 2012 ins Studio ging, um ein Album aufzunehmen. Da das alles mit dem PC aufgenommen wurde, entschloss ich mich, selbst aufzunehmen … das habe ich dann gemacht und 2015 mein erstes Album veröffentlicht. 

eclipsed: Die wievielte Platte ist denn „Emnalóc“?

Bühlmann: Bereits die fünfte.

eclipsed: Was ist das für ein Bild oder für eine Art Symbol auf dem Cover?

Bühlmann: Es sind alles christliche Symbole: Das Zeichen in der Mitte ist ein IX-Monogramm. Griechisch für Yota und Chi, die Anfangsbuchstaben von Jesus Christus, nur habe ich das Symbol „falsch“ positioniert, der horizontale Balken sollte vertikal sein. Das Dreieck steht für die Dreieinigkeit.

eclipsed: Kommst du direkt aus der Stadt Solothurn?

Bühlmann: Ich wohne in Oekingen, einem kleinen Dorf etwa sechs Kilometer von Solothurn entfernt. Aus Solothurn kommt auch die Band Krokus, nicht mein Stil, sie sind aber sehr bekannt.

eclipsed: Du verwendest ja eine Art Kunstsprache. Warum und woher kommt die?

Bühlmann: Genau genommen sind es nur Wörter, keine ganze Sprache. Ich habe schon immer gern Wörter erfunden. Wenn ich für die Track-Titel bestimmte Wörter nehme, kann je nachdem einiges durch das Wort in die Musik hineininterpretiert werden, was ich gar nicht wollte. Darum habe ich dann Fantasiewörter genommen und zu „Emnalóc“ selber geschrieben, welche Reise es bedeuten könnte …

eclipsed: Wofür steht in diesem Sinne der Albumtitel „Emnalóc“? Welche Reise möchtest du so beschreiben? Von welchem anderen Ort träumst du?

Bühlmann: Ich mag Fantasy, vor allem „Narnia“, die „Space-Trilogie“ von C.S. Lewis und „Herr der Ringe“ von Tolkien. Es gibt aber auch Landschaften, die fast etwas Mystisches haben, etwa um den Étang de la Gruère, da sagte ich bei einem Spaziergang zu meiner Frau: „Es würde mich nicht erstaunen, wenn plötzlich ein Hobbit daherkäme.“ Der Gitarrenbauer Marco Bernasconi hat es so formuliert: „Das ist eben Kino für die Ohren.“

eclipsed: Deine Musik und Kunstsprache hat offenbar auch mit deiner autistischen Wahrnehmung zu tun. Kannst du uns das bitte genauer erläutern?

Bühlmann: Ich bekam die Autismus-Diagnose erst 2020, aber ich hegte schon lange den Verdacht, dass ich das habe. Ein wichtiger Aspekt meiner Musik ist, dass sie rein instrumental ist, ich hab’s nicht so mit Worten. Ich habe das für mich so formuliert: „Musik drückt Dinge aus, die Worte niemals ausdrücken.“ Meine Musik folgt bestimmten, zum Teil unbewussten Regeln. Das befolgen von Regeln und Ritualen ist typisch für Autisten. Meine Musik ist linear aufgebaut, aus einzelnen Stimmen, die alle mehr oder weniger melodisch sind. Eine Art Polyphonie ohne bewussten Kontrapunkt. Und meine Musik ist meist nicht funktionsharmonisch. Die einzelnen Stimmen sind modal, in einer Kirchentonart. Ein weiteres Gestaltungsmittel ist das Verwenden von Krebsmelodien, d.h. einer Melodie, die von hinten nach vorn gespielt wird, seltener gespiegelten oder Umkehrmelodien. Ein Vorbild für solche Techniken ist für mich der Komponist Josquin Desprez, der von 1450 bis 1521 lebte. Weitere Regeln, die ich anfangs unbewusst befolgte: Je Album haben alle Tracks eine andere Tonart und unterschiedliche Tempi. Möglichst nur ein Wort als Track-Titel. Je Album haben die Track-Titel auch nie denselben Anfangsbuchstaben. Die Namen der Alben folgen dem Alphabet: A, B, C etc. Die Titel suche ich in allen möglichen Sprachen: zuerst Englisch, Altgriechisch, Althebräisch, dann kamen die Fantasiewörter hinzu, die ich erfunden habe, aber auch Französisch, Lateinisch, Altkeltisch, Proto-Indoeuropäisch und Schweizerdeutsch.

eclipsed: Musikalisch wandelst du auf einem Grat zwischen Prog und Fusion, gemixt mit ein wenig Weltmusik. Siehst du das auch so, und wer sind deine musikalischen Vorbilder oder Inspirationen? Ab und zu klingt z.B. bei „Assailen“ Stanley Clarke durch...

Bühlmann: Ja, das sehe ich auch so. Mit Mike Oldfields „Tubular Bells“ fing ich an, Gitarre zu spielen, ich konnte fast die ganze Scheibe spielen. Dann sind da natürlich die großen Prog-Bands: King Crimson, Jethro Tull, ELP, Gentle Giant, Yes. Ferner kamen auch Fusion und Jazz dazu, vor allem ECM-Jazz mit Jan Garbarek, Eberhard Weber und Terje Rypdal. Gleichzeitig klassische Musik, von Mahler zu Schönberg und dann zurück ins 15. Jahrhundert zu Josquin Desprez, der ist mein absoluter Favorit. Die Musik von Steve Reich mag ich auch. Das Weltmusikalische kommt vielleicht von Oregon und Ralph Towner. Und Stanley Clarke ist mir natürlich ein Begriff, und wenn mein Bassspiel an ihn erinnert, ist das ein Riesenkompliment.

eclipsed: Selbst bist du ja Multiinstrumentalist, neben Keys solistisch vor allem an der Gitarre zugange. Wie hast du dir die Instrumente draufgeschafft, welche spielst du?

Bühlmann: Gitarre und Bass habe ich autodidaktisch gelernt. Mein Hauptinstrument ist eine Bernasconi Mistral Custom E-Gitarre, ein Geschenk meiner Frau. Dann habe ich eine Steinberger GM4S, die brauche ich für High-Gain-Sachen. Als Bass habe ich einen NS Design WAV4 Radius. Mandola hat mir mein Großvater beigebracht. Hanottere, eine Emmentaler Halszither, und Kinnor, eine althebräische Kastenleier, habe ich ebenfalls autodidaktisch gelernt. Ein Freund von mir hat mir seinen Korg MS-20 ausgeliehen, mit dem ich manchmal experimentiere, aber da bin ich kein Virtuose. In Logic hat’s Software-Synthesizer drin, die ganz gut tönen. Als Perkussion klopfe ich auf allem Möglichen herum: Steinen, Ästen, Öltanks, Vasen, Kochtöpfen; Gräser in der Hand halten und durchblasen – das habe ich auch schon aufgenommen; und Weingläser spielen …

eclipsed: Du hast als Gast David Cross dabei, einst bei King Crimson. Wie bist du mit ihm in Kontakt gekommen?

Bühlmann: Ich habe ihm einfach per E-Mail eine Anfrage geschickt, er hat sehr lange nicht geantwortet, ich dachte schon, dass ich nichts von ihm höre, und plötzlich hat er zurückgeschrieben. Das war zuerst für mein viertes Album „Dubnos“. Er spielt übrigens bei „Rithnál“. Ich habe auf der CD leider nicht geschrieben, wer bei welchem Track spielt …

eclipsed: Gastmusiker Ondřej Glogar spielt ein Blasinstrument namens Carnyx von den eisenzeitlichen Kelten...

Bühlmann: Die Kelten haben mich eine Zeit lang sehr interessiert. In der näheren und weiteren Umgebung bei uns gibt es etliche Funde von ihnen. Da bin ich dann auf dieses Instrument gestoßen und dachte mir, das wär doch was für ein Intro.

eclipsed: Luca Calabrese ergänzt das jazzige Flair sehr schön mit seiner Trompete bei ein paar Titeln. Wo kommt er her, wie kamt ihr beide zusammen?

Bühlmann: Er ist Italiener und wohnt in der Lombardei. Wenn man seine Webseite anschaut, mit wem er schon gespielt hat, staunt man. Ich mag, wie er spielt, er hat’s nicht nötig, möglichst viele Töne pro Zeit zu spielen. Das Kennenlernen war eine spezielle Geschichte: Mein voriges Album „Dubnos“ habe ich ADS (Autismus Deutsche Schweiz) gemeldet, die teilten es dann auf Social Media, und das hat die Freundin eines Musikers, die selbst auch Autistin ist, gesehen. Und dieser Musiker, „feelX“ Felix Waldispühl, hat mich dann kontaktiert. Und eines seiner Projekte ist eine Space-Jazz-Band, in der auch Luca Calabrese spielt.

eclipsed: Bei der Produktion könnte vielleicht ein externer Produzent noch ein paar Schaufeln Goldstaub hinzufügen. Wie stehst du dazu?

Bühlmann: Das sehe ich auch so, ich weiß nur nicht, wie vorgehen, das müsste sich irgendwie ergeben.

eclipsed: Kann man dich auch live hören?

Bühlmann: Bei meinem ersten Album habe ich mir noch überlegt, wie das wäre, mit einer Band zu spielen, später dann nicht mehr … Weiter hätte ich da zwei Probleme: 2015 konnte ich bei einer Konzertserie mitmachen, an der ich Hanottere spielte. Nach dieser Serie bekam ich eine Sehnenscheidenentzündung und musste operiert werden. Ich habe Angst, dass ich das wieder bekomme, wenn ich zu viel spiele. Und dann ist da mein Autismus. Ich mag es gar nicht, im Mittelpunkt zu stehen und vor Leuten zu spielen.

* * * Interview: Walter Sehrer