SLOWDIVE - Ende der Unschuld

28. Juni 2017

Slowdive

Berlin, 3. April. Der an anderem Ort neu eröffnete Festsaal Kreuzberg platzt aus allen Nähten. Slowdive haben zum Reunionkonzert geladen, und die Fangemeinde hat sich geschlossen eingefunden, um die Shoegazehelden der 90er-Jahre auf einem ihrer wenigen Comebackshows zu feiern. Es ist nicht nur die Erwartung, die sich entlädt und die Masse jubeln lässt, als die fünf sichtlich gealterten Düsterrocker die Bühne betreten. Wer ist hier für wen da, die Band für das Publikum oder das Publikum für die Band? Noch weiß niemand, was gleich passieren wird. Taucht die Band in den sinisteren Niederungen der Nostalgie ab, oder wird sie die Apotheose fürs 21. Jahrhundert wagen?

Jeder abstrakte Gedanke verfliegt jedoch auf der Stelle, als Slowdive in die Saiten greifen. Es ist sicher kein Zufall, dass sie mit „Avalyn I“, dem Eröffnungstrack ihrer Debüt-EP „Slowdive“, beginnen. Sofort wird das Auditorium von den sanften, aber massiven Wellen der Gitarrenvibes erfasst. Die physische Enge im Festsaal Kreuzberg weicht plötzlich kosmischer Weite. Ja, da ist ein Moment der Erinnerung dabei, aber darum allein geht es nicht. „Wir wollen einfach mal wieder sehen, wie sich das anfühlt“, erzählt Bandleader Neil Halstead einen Tag nach dem Auftritt. „Slowdive ist Slowdive. Wir haben uns seit unserer Trennung vor mehr als 20 Jahren in ganz unterschiedliche Richtungen entwickelt, sind uns aber als Menschen nahe geblieben. Slowdive ist ein wichtiges Moment in unser aller Leben. Wir wollten ausprobieren, wie es sich anfühlt, wieder als Slowdive zusammenzukommen. Keine Neuauflage von damals, sondern Slowdive heute, um nichts anderes geht es.“

Song für Song arbeitet sich die Band durch ihre Diskografie, erst beim fünften Stück kommt sie in der Gegenwart an, so als hätte es in der Bandhistorie niemals diese Pause von mehr als 20 Jahren gegeben. „Star Roving“ vom ebenfalls selbstbetitelten neuen Album stellt endlich die Mission der Gruppe in den Mittelpunkt. Der Song schließt nahtlos an den klassischen Slowdive-Sound an, und doch macht er auch deutlich, dass es keinen Weg zurück gibt, wie auch Halstead festhält. „Es ist ja ein schmaler Grat, uns selbst treu zu bleiben und trotzdem etwas Neues auszuprobieren. Wir alle haben uns verändert in der Zwischenzeit. Aber nicht nur wir, auch unser Umfeld, die Welt und die technischen Gegebenheiten in der Musik haben sich enorm verändert. Wir haben immer mit Klängen experimentiert, sind stets an unsere Grenzen gegangen. Deshalb können unsere Grenzen von damals auch nicht unsere Grenzen von heute sein. Wo sollte unsere künstlerische Herausforderung liegen, wenn nicht im Neuen?“

Lest mehr im eclipsed Nr. 192 (07/08-2017).