Aus Norwegen kommt mitunter allerhand okkult inspirierte Musik, so auch der psychedelisch-fidele Folk-Prog von Tusmørke auf ihrem neuen Album mit dem erklärungsbedürftigen Namen „Hestehoven“. Tussilago farfara oder Huflattich ist eine Blume aus der Familie der Gänseblümchen, die schon seit Jahrhunderten wegen ihrer medizinischen Eigenschaften als Linderung bei Erkältungskrankheiten, Gicht und Fieber angebaut wird. Doch was hat dieser Name mit dem neuen Werk von Tusmørke zu tun? Sänger und Multiinstrumentalist Benediktator gibt uns nicht nur darüber äußerst redefreudig Aufschluss, sondern erklärt viel zum Hintergrund und Symbolik des Albums wie zum Stil der Musik und der Zukunft der Band. Gewisse Ansichten, etwa zum Sport in freier Natur oder Pornos als Kinderliteratur, mögen dabei durchaus zu Widerspruch anregen.
eclipsed: Wofür steht der Albumtitel „Hestehoven“, der offenbar mit Pferdehuf zu übersetzen ist?
Benediktator: Der Titel bezieht sich sowohl auf die Blume Tussilago farfara oder Huflattich als auch auf den Fuß von Luzifer, Satan oder dem alten Erik, wie er in alten norwegischen Volksmärchen genannt wird. Der gespaltene Fuß Satans wird manchmal als Pferdehuf, manchmal als Ziegenfuß dargestellt. In Bauern- oder Volksmärchen ist Satan oft ein leichtgläubiges Wesen, das sich austricksen lässt, aber auch ein gefährliches Wesen, das schreckliche Rache nehmen kann. Ich beziehe mich auf Luzifer, weil er ein Rebell ist, und ich sehe auch Hexen und Teufelsanbeter als Rebellen, diejenigen, die die Gesellschaftsordnung ablehnten und Magie nutzten, um ihre Umstände zu verbessern. Da die soziale Stellung von Gott festgelegt wurde, wurde jeder Versuch einer sozialen Veränderung als satanisch angesehen. Ich denke, die heutige norwegische Gesellschaft hat ihre Dogmen, die wir nicht in Frage stellen dürfen, insbesondere die Profitrationalität des Kapitalismus und die Selbstverständlichkeit des Konsumismus, des endlosen Wirtschaftswachstums und der gesteigerten Kaufkraft. Auch wenn Politiker Lippenbekenntnisse gegenüber Umweltschützern abgeben, geschieht nichts wirklich Konsequentes. Damit echte Veränderungen stattfinden können, müssen wir rebellieren, wie Luzifer und die Hexen der alten Zeit. Der Blumenteil des Titels bezieht sich zudem auf die Tatsache, dass der Huflattich eine Frühlingsblume ist. An einem sonnigen Frühlingstag inspirierte mich der Geruch von frisch gewachsenen Brennnesseln, verrottendem Gras und backendem Schlamm dazu, über die Stapel von Pornomagazinen nachzudenken, die wir als Kinder gefunden hatten. LKW-Fahrer ließen sie in der Gegend zurück, in der wir aufgewachsen sind, und sie waren für uns verehrte Schätze, geheime Überlieferungen, die im Verborgenen aufbewahrt würden. Diese Art von schuldbewusster, verbotener Erotik ist auch Teil der satanischen Rebellion, sich hinter den Rücken der Moral zu stellen, zu der man sich bekennt. Als Kind wurdest du gezwungen, ein Heuchler zu sein. Also, ja, der Titel bezieht sich auch auf eine tiefe Nostalgie über die Zeit der Kindheit und auf das Umherstreifen in einer Gegend, in der alles bekannt ist und eine Bedeutung hat.
eclipsed: Gibt es ein Konzept, das die Liedgeschichten zusammenhält, etwa Legenden über Fabelwesen, Zauberwälder oder schwarze Magie?
Benediktator: Alte norwegische Folklore und Bauernmagie könnten hier der rote Faden sein, insbesondere die sogenannten „Schwarzen Bücher“. Ich bin fasziniert von der Art und Weise, wie Praktiker der schwarzen Magie durch Gebete, die Dämonen, Heilige, Jesus und das Zeichen des Kreuzes beinhalteten, nach Macht suchten. Zauber und Tränke enthielten Zutaten wie Grünspan von Kirchenglocken oder Talg von Kirchenkerzen sowie Spucke, Blut und Sperma. Man nutzt, was so herumliegt!
eclipsed: Das Cover selbst ist sehr interessant: es kombiniert eine nackte Frau, schwarze Magiezutaten, Fabelwesen und Pilze. Symbolisiert all das die Magie der Natur?
Benediktator: Das Kunstwerk ist ganz die Idee von Sverre Malling. Ihm wurde absolute künstlerische Freiheit eingeräumt. Wir teilen mehrere Interessen, daher ist es eine Freude, mit ihm zusammenzuarbeiten. Ich nehme an, dass es die Magie der Natur, des Todes, des Lebens, der Liebe symbolisiert, diese großartigen poetischen Themen der Symbolik. Ich finde es lohnenswert, über diese Dinge nachzudenken, die in der Postmoderne als banal gelten könnten. Ich möchte lieber geheimnisvoll als banal sein. Ich kann mir keinen schlimmeren Grund für das Wandern in der Natur vorstellen, als sich sportlich betätigen zu wollen. Die Einstellung, dass Spaziergänge im Freien gut für die Gesundheit sind, ist anmaßend und völlig nebensächlich; Es geht darum, die Natur sowohl mit der Seele und dem Geist als auch mit dem Körper zu erleben. Ich bin nicht dafür, Sport zu treiben, genauso wie ich Hobbys nicht gutheiße. Machʼ es wirklich oder tuʼ es überhaupt nicht. Sport ist faschistisch. Ich glaube jedoch nicht, dass Sverre Malling dies alles in die Zeichnung aufgenommen hat, nur um das klarzustellen.
Das komplette Interview ist Teil unseres Online-Abos, siehe https://www.eclipsed.de/de/abo