„Pawn Hearts“ gilt als Opus magnum einer der größten Prog-Bands der 70er-Jahre. Es war ein in vielerlei Hinsicht wegweisendes Album – mit seiner Mischung aus Melodieseligkeit und Aggression, einem eine ganze LP-Seite umfassenden Longtrack, dunklen, psychedelischen Passagen und nicht zuletzt Peter Hammills expressivem Gesang, der bis heute weltweit Musikfreunde fasziniert, aber auch verstört. Zum 50-jährigen Jubiläum des Werks sprach eclipsed mit dem Musiker über eine aufregende, aber auch erschöpfende Zeit in der Geschichte von Englands kompromisslosester Prog-Formation.
In der florierenden Prog-Szene der frühen 1970er-Jahre standen Van der Graaf Generator in dem Ruf, es ihren Fans nicht leicht zu machen. Die Band um den charismatischen Frontmann Peter Hammill hatte sich nach Umbesetzungen und vertraglichen Querelen rund um ihr (noch etwas unausgegorenes) Debütalbum „The Aerosol Grey Machine“ endlich gefunden und in ihrer neuen Besetzung, zu der neben Hammill (Gesang, Gitarre und Klavier) der Organist Hugh Banton, der verschiedene Blasinstrumente spielende David Jackson und Schlagzeuger Guy Evans zählten, im Dezember 1970 ihr drittes Werk „H To He, Who Am The Only One“ veröffentlicht. Bereits der Name dieser Platte zeigt, dass Van der Graaf Generator ihre Hörer vor große Herausforderungen stellten. Textlich wie musikalisch präsentierte sich die Band sperrig und vermittelte insgesamt ein düsteres, pessimistisches Bild. Wer sonst schrieb Songs über Killerfische, die alle anderen Meeresbewohner um sich herum inklusive der eigenen Mutter töten, um metaphorisch den desolaten Zustand der menschlichen Gattung zu beschreiben?
Endlose Tourneen
Dennoch versuchte Tony Stratton-Smith, Chef ihres neuen Labels Charisma Records, die Gruppe groß herauszubringen. Gemeinsam mit seinen anderen beiden Gewächsen Genesis und den nicht so recht dazu passenden Lindisfarne schickte er sie Anfang 1971 auf die legendäre „Six Bob Tour“ quer durch Großbritannien, wo das Dreigespann die Zuschauer für lediglich 30 Pence (6 Shilling) begeisterte. Obwohl die Tour rückblickend ziemlich verherrlicht wurde, hat Peter Hammill keine uneingeschränkt positiven Erinnerungen daran: „Beim ersten Gig in London ging Hughs Basspedal kaputt. Zum Glück war unser Ex-Bassist Nic Potter im Publikum und konnte aushelfen. Beim zweiten Gig brach dann die PA-Anlage zusammen.“ Da das Publikum zunächst ohnehin nicht warm werden wollte mit dem teils brachial anmutenden Sound der Band, geriet sie im Vergleich zu den beiden anderen etwas ins Hintertreffen. Das schreckte Van der Graaf Generator aber nicht davon ab, in den ersten fünf Monaten jenes Jahres fast 50 Konzerte zu absolvieren – unter anderem auf einer Tour durch Deutschland gemeinsam mit den Charisma-Acts Audience und Jackson Heights – und darüber hinaus quasi als Fingerübung für das nächste Bandalbum ein Solowerk ihres Frontmanns einzuspielen, auf dem er liegengebliebene, leichtgewichtigere Stücke aus zurückliegenden Jahren versammelte. „Die Songs auf meinem Soloalbum ‚Fool’s Mate‘ waren nie als VdGG-Songs geplant, das hätte nicht gepasst. Trotzdem halfen mir die Jungs beim Einspielen; wir machten das in ein paar Tagen, es war eher wie ein kleiner Urlaub.“
Bereits während sie auf Tour war, hatte die Band erste Ideen für neue Songs entwickelt, auch wenn die Musiker zu diesem Zeitpunkt ziemlich ausgepowert waren und die Zeichen für überbordende Kreativität somit nicht gerade gut standen. Im Juni richteten sie sich daher zwischen den Tourneen in Stratton-Smiths Haus in Crowborough ein, um an ihren Ideen zu feilen, und gingen schließlich im Juli, nach weiteren England-Gigs, in die Londoner Trident Studios. Dass unter diesen stressigen Bedingungen ihr größtes Werk entstehen würde, war für die Band selbst wohl nicht abzusehen – zumal „Pawn Hearts“ zunächst als Doppelalbum geplant war. Dafür gab es zwei verschiedene Konzepte: Jene Songs, die später das Album bildeten, wollte man entweder um ein paar Instrumentaltracks der verschiedenen Mitglieder ergänzen oder um aktuelle Liveversionen älterer Songs, die sich erheblich von den Studiooriginalen unterschieden. Beide Pläne wurden jedoch vom Label durchkreuzt, das kein Doppelalbum produzieren wollte. Die Instrumentalstücke wurden allerdings trotzdem eingespielt und später auf dem 2005er-Reissue von „Pawn Hearts“ veröffentlicht. Darauf findet sich auch das damals nur auf der US- und der kanadischen Ausgabe des Albums enthaltene, im Februar 1972 als Single herausgebrachte Stück „Theme One“ (eine Komposition von George Martin, die als Erkennungsmelodie der BBC-Radiosender 1 und 2 diente) sowie die B-Seite „W“, ein kurzes, eher eingängiges Stück, das nicht zu denen von „Pawn Hearts“ passte ...