THE BEATLES SOLO - Von den Fab Four zu vier Einzelkünstlern

THE BEATLES SOLO - Von den Fab Four zu vier Einzelkünstlern

Nach dem gescheiterten Versuch, bei den „Get Back“-Sessions das alte Feuer wieder zu entfachen, erlebten die Beatles einen rapiden Auflösungsprozess: Die Risse, die sich bereits beim „White Album“ aufgetan hatten, wurden immer größer. Die Trennung im April 1970 führte dann zunächst einmal zu Chaos: Das kreative Paar Lennon/McCartney war Geschichte, Freundschaften waren zerbrochen, doch zugleich waren die vier Musiker fürs Erste weiter vertraglich aneinander gebunden. Wie ging es für sie weiter? Wie ist ihr Soloschaffen der 70er-Jahre aus heutiger Sicht zu bewerten? eclipsed erzählt die Geschichte des Endes der berühmtesten Band der Welt und eines vielfältigen neuen Anfangs.

Auch wenn über die gesamten 70er-Jahre eine gewisse Richtungslosigkeit die Soloalben der Fab Four prägte, führte ihre Suche nach einem eigenen Weg auch zu einzigartigen Kunstwerken, die im Beatles-Kontext so nicht möglich gewesen wären. Der Reiz des Solokatalogs liegt gerade in seiner Inkongruenz, seinen Brüchen und Fehleinschätzungen, durch die sich erst die individuellen musikalischen Persönlichkeiten entwickeln konnten – nun, da sie ohne die Unterstützung ihrer Bandkollegen auskommen mussten. Zugleich ist die Geschichte des künstlerischen Schaffens der Solo-Beatles, die bereits 1970 ihre ersten Höhepunkte erreicht, auch die eines musikalischen Dialogs zwischen entfremdeten Freunden.

1970: Plötzlich auf sich gestellt

Zwei Beatles hatten bereits vor der offiziellen Trennung im April 1970 begonnen, im Alleingang Musik zu machen: George Harrison nahm mit „Wonderwall Music“ (veröffentlicht im November 1968) sowie „Electronic Sound“ (Mai 1969) zwei Alben mit Instrumentalmusik auf, das erste ein Soundtrack, der Rockelemente mit klassischer indischer Musik verband, das zweite ein aus zwei Moog-Synthesizer-Stücken bestehender Beitrag zum kurzlebigen Apple-Avantgarde-Unterlabel Zapple. Auch John Lennon hatte sich mit seinen drei experimentellen Platten mit Yoko Ono („Unfinished Music No. 1: Two Virgins“ (1968), „Unfinished Music No. 2: Life With The Lions“ (1969), „Wedding Album“ (1969)) eher ein wenig ausgetobt, als ernsthaftes Songwriting anzustreben, das den Beatles Konkurrenz machen konnte. Die Aufnahme des Hotelzimmer-Friedensgesangs „Give Peace A Chance“ der Plastic Ono Band im Juli 1969 war zwar offiziell die erste Single eines einzelnen Beatle, jedoch eher als vertontes politisches Statement anzusehen denn als erster Versuch einer Loslösung von der Band. Diese begann jedoch, als Lennon den anderen drei Beatles 1969 seinen Song „Cold Turkey“ präsentierte und dieser auf nur sehr mäßige Begeisterung stieß. Lennon, durchaus beleidigt, da der rohe Song über die Leiden des Drogenentzugs ihm sehr wichtig war, nahm das Stück schließlich gemeinsam mit Ringo, Eric Clapton und Klaus Voormann auf und veröffentlichte es im Oktober 1969. Dazu verkündete er: „Es gibt nicht genug Abfluss bei den Beatles. Die Ono Band ist sozusagen mein Ventil. Wie wichtig sie sein wird, wird die Zukunft zeigen.“ Im Februar 1970 erfolgte mit der dritten Solosingle „Instant Karma!“ dann sein nächster Schritt in Richtung einer eigenen Karriere. 

Eigentlich hatte John Lennon bereits im Herbst 1969 seinen Ausstieg und damit die Auflösung der Beatles öffentlich verkünden wollen, wurde aber vor allem von Paul McCartney davon abgehalten. Einerseits befürchtete dieser ein publizistisches Desaster und wollte die Sache bedachter angehen, zugleich ist es aber durchaus möglich, dass er die Band noch nicht aufgeben wollte und hoffte, den alten Freund wieder von der gemeinsamen Sache überzeugen zu können. Immerhin hatte man nach dem Fiasko mit „Get Back“ (siehe Kasten) noch mal in die Spur gefunden und in überraschend disziplinierter Weise das Karrierehighlight „Abbey Road“ aufgenommen. Umso perplexer war Lennon, als es dann McCartney war, der im April 1970 medienwirksam seinen Ausstieg verkündete. Lennon fühlte sich überrumpelt und verzieh ihm dies wohl nie. Dabei hatte McCartney dafür gute Gründe, war seine kurz zuvor deutlich artikulierte Abneigung gegenüber einer Zusammenarbeit mit dem windigen Manager Allen Klein bei den anderen doch auf taube Ohren gestoßen, was schließlich dazu führte, dass Klein die Geschäfte der Band übernahm, obwohl McCartney seine Unterschrift dazu verweigert hatte. Im Nachhinein sollte er Recht behalten und Klein die übrigen drei, die sich weiter von ihm managen ließen, gehörig über den Tisch ziehen – aber das ist eine andere Geschichte ...

Auch jenseits der Verwerfungen um Klein gab es Streitigkeiten, an denen Paul McCartney nicht ganz unschuldig war. Ringo Starr hatte auf Betreiben seiner Mutter ein Album mit alten Standards aufgenommen, das er „Sentimental Journey“ nannte. Hierbei muss man im Hinterkopf haben, dass 1970 ein solches Unterfangen für einen Rockmusiker – dessen Rolle ja eigentlich darin bestand, in Opposition zum althergebrachten Establishment zu stehen, nicht darin, die Lieder dieses Establishments zu singen – mehr als ungewöhnlich war. Ringo jedenfalls wollte die Platte möglichst bald veröffentlichen. Doch plötzlich kam auch Paul mit einem Solowerk um die Ecke, dem hastig eingespielten „McCartney“, das er nach seiner Verkündung, die Band sei am Ende, schnellstens auf dem Markt haben wollte, ja, wohl eigens dafür eingespielt hatte. Mit den Vorabexemplaren des Albums hatte er eine Fragen-und-Antworten-Liste an die Presse verschickt, in der er die Gründe für seine Trennung von den Beatles erläuterte. Ein ungewöhnlicher Schachzug, der bei den anderen alles andere als gut angekommen war, hatte er sich so doch ein Forum verschafft, das ihnen spontan nicht zur Verfügung stand, was vor allem Lennon ärgerte. Überdies sollten zugleich auch die alten „Get Back“-Aufnahmen unter dem Titel „Let It Be“ in die Läden kommen; eine Art Abschiedsalbum, das McCartney wegen der Nachproduktion von Phil Spector, der die Stücke aus seiner Sicht mit Orchesterparts überladen hatte, abgrundtief hasste. Ringo dazu: „Ich war derjenige, der Paul ausrichten musste, dass wir sein Soloalbum eigentlich wegen ‚Let It Be‘ verschieben wollten. Er ist völlig ausgerastet...“
 

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