Nach eigener Aussage war eine der primären Inspirationsquellen für das neue Manics-Werk „The Ultra Vivid Lament“ das schwedische Quartett ABBA, dessen Melodien Songwriter James Dean Bradfield schon immer sehr geschätzt hat. Er findet, es gebe kaum einen besseren Rahmen als diesen, um die sozialkritischen Botschaften der Band massentauglich zu verpacken …
eclipsed: Du hast im letzten Jahr mit „Even In Exile“ ein Soloalbum über den chilenischen Folk-Sänger Victor Jara aufgenommen, zu dem der Lyriker Patrick Jones, der Bruder deines Manics-Bandkollegen und Texters Nicky Wire, die Lyrics verfasste. Hat das Album den Weg zum neuen Manics-Werk geebnet?
James Dean Bradfield: Es war tatsächlich so, dass Patrick als Fingerübung einen Gedichtzyklus über Jara verfasst hat, eigentlich nur für sich selbst. Ich habe die Gedichte eher zufällig zu Gesicht bekommen, und dann keimte in mir die Idee, mich noch eingehender mit dem chilenischen Liedermacher zu beschäftigen. Ich war begeistert von den Texten, und so dachte ich, ich sollte mal ein Soloalbum daraus machen – eher auf kleiner Flamme, als Herzensprojekt. Es erschien ja auch nur auf einem kleinen Label. Und ja, ich habe für das Soloalbum hauptsächlich auf dem Klavier komponiert, und das habe ich für „The Ultra Vivid Lament“ auch getan, daher wohl die getragene Atmosphäre, die vergleichbar mit „Even In Exile“ ist. Die Texte sind jedoch wie immer von Nicky, und es sind sehr persönliche Songs darauf.
eclipsed: Der epische Opener „Still Snowing In Sapporo“ ist einer davon. Eine melancholische Reminiszenz an die Japan-Tour Anfang der 90er Jahre …
Bradfield: Nicky hat auf diesem Album viel aus seiner subjektiven Erinnerung heraus geschrieben. Ich selbst habe ein extrem lückenhaftes Gedächtnis, ich vergesse vieles, während Nicky sagt, er habe Dinge, die fast 30 Jahre her sind, noch sehr detailliert vor seinem inneren Auge. Das ist ein sehr surreales Erlebnis, wenn wir darüber sprechen, denn wir waren ja beide dabei. Jedoch ist sich Nicky dessen bewusst, dass seine Erinnerung ihm Fallen stellt, und damit spielt er, vor allem in diesem Song.
eclipsed: Ihr versucht an einigen Stellen des Albums mehr denn je, den Hörer mit zuckersüßen Melodien einzufangen, um dann eine gnadenlose Bestandaufnahme der Gegenwart zu liefern. Vor allem „Don’t Let The Night Divide Us“ ist in dieser Beziehung richtig perfide. Ihr habt in diesem Zusammenhang auch ABBA als Inspiration genannt …
Bradfield: So ist es. Aber wenn du ABBA mal rausnimmst, ist das so neu? Haben sozialkritische Bands nicht schon immer die Hörer mit eingängigen Melodien gefangen genommen? Nimm The Smiths, nimm The Clash, zahlreiche Klassiker vieler Acts versuchen, ihre Message auf möglichst eingängige Weise an den Hörer zu bringen. Aber ja, vielleicht haben wir es bei dem von dir genannten Song ein wenig übertrieben ...