Dream Theater sind eine der wenigen Bands, die seit einer gefühlten Ewigkeit den Gipfel des Progmetal besetzen. Nur selten ging ihnen die Puste aus – stattdessen schafften sie es immer wieder, die Messlatte des Genres noch ein Stückchen weiter nach oben zu verschieben. Auch auf „A View From The Top Of The World“ genießen sie die Aussicht von ihrem Thron, den ihnen auch angesichts von 15 Millionen verkauften Alben so schnell keiner streitig machen wird.
Statt Frontmann James LaBrie oder den alles überblickenden Gitarristen und Produzenten John Petrucci zum Gespräch zu bitten, fiel die Wahl der Interviewpartner von eclipsed diesmal bewusst auf zwei andere Bandmitglieder: Schlagzeuger Mike Mangini und Keyboarder Jordan Rudess. Auffallend bei beiden: Allgemeine Fragen zum neuen, fünfzehnten Album von Dream Theater beantworten sie eher knapp, sobald sie aber aufgefordert werden, ihre spezifische Perspektive zu schildern, sind sie kaum in ihrem Redefluss zu bremsen – und bringen so manch interessante Facette ans Tageslicht.
eclipsed: Mike, war der Aufnahmeprozess bei „A View From The Top Of The World“ - auch aufgrund der Pandemie - anders als bei früheren Alben?
Mike Mangini: Ein bisschen, ja. Lass es mich so beschreiben: Das Letzte, was ich zu allen gesagt habe, bevor wir in den Raum gegangen sind, um anzufangen, war: „Lasst uns einfach da reingehen und loslegen. Ohne zu überlegen, ohne vorgefasste Ideen – einfach spielen und viel Spaß haben.“ Und das passierte dann auch. „The Alien“ entstand als Erstes. Ich hatte früher schon Versionen dieses Beats angeboten. Jetzt aber war der Zeitpunkt dafür gekommen, und es passte. Jeder einzelne konnte sich jederzeit einbringen. Das war sehr cool. Es ist das Album, bei dem bisher die größte Gleichberechtigung herrschte – auch wenn jeder natürlich noch seine Rolle zu spielen hatte.
eclipsed: Dein Spielstil ist diesmal auffallend groovy, beizeiten fast swingend, nicht wahr?
Mangini: Ja, aber ich sag’ dir was: Ich habe überhaupt nichts verändert im Vergleich zu den anderen Alben. Ich spiele auf demselben Schlagzeug, ich spiele dieselben Grooves. Das Einzige, was diesmal anders gemacht wurde, war, dass Jimmy T [Soundingenieur James Meslin, Anm.] und ich Zeit miteinander verbrachten und ich bei tontechnischen Ideen involviert war. Wir reden seit gut fünf Jahren davon, und diesmal haben wir da wirklich eine Menge Arbeit hineingesteckt.
eclipsed: Welcher Song gefällt dir aus deiner Perspektive als Drummer am besten?
Mangini: „Answering The Call“ spiegelt meine besondere Hi-Hat-Spieltechnik wider, die auf jedem einzelnen Album zu finden ist. Hier kannst du sie aber sehr deutlich erkennen.
eclipsed: Der Titeltrack handelt von Menschen, die an ihre Grenzen gehen, extreme Dinge tun. Dream Theater sind in ihrem Bereich durchaus eine extreme Band. Fühlst du dich manchmal mit solchen Menschen verbunden?
Mangini: Ja - wobei du wissen musst, dass die Texte viel später dazukamen. Keiner von uns kannte während der Aufnahmen die Themen. Aber ich kann deine Frage generell mit „absolut“ beantworten. Die Verbindung besteht im Wachstum - und in der Anhäufung all der technischen Fähigkeiten und Fertigkeiten, um diesem Wachstum kreativen Ausdruck zu verleihen und diesen an neue Grenzen zu führen. Und: Ich habe keine Angst. Nicht vor dem, was andere Leute über das denken, was ich mache, nicht vor dem, was andere Leute von dem halten, was ich spiele. Das Einzige, wovor ich Angst habe, ist, dass sie nicht erkennen, was ich mache.