GENESIS - Mit »FOXTROT« in die Prog-Annalen

9. September 2022

Genesis

GENESIS - Mit »FOXTROT« in die Prog-Annalen

1972 erschienen binnen weniger Wochen zwei Alben, die nach übereinstimmender Expertenmeinung zum Besten gehören, was der Progressive Rock je hervorgebracht hat: Mitte September setzten Yes mit „Close To The Edge“ Maßstäbe; rund drei Wochen später legten Genesis mit „Foxtrot“ nach. Die Kritiker ahnten damals wohl bereits, was für Meisterwerke da entstanden waren. Jahre später wurde deutlich, dass es sich um zwei wirkliche Referenzalben des Genres handelte. Wer hat sich nicht alles von ihnen inspirieren lassen? Für Genesis – Peter Gabriel, Tony Banks, Mike Rutherford, Phil Collins und Steve Hackett – war „Foxtrot“ der endgültige Durchbruch im eigenen Land und der Beginn einer fulminanten internationalen Karriere. eclipsed erzählt die Entstehungsgeschichte des Albums, lässt Gitarrist Steve Hackett ausführlich dazu zu Wort kommen und blickt mit einem historischen Text zurück in die Zeit unmittelbar vor seiner Veröffentlichung. Kommentare weiterer prominenter Musiker aus der Prog-Szene runden unser Special ab.

Im Frühjahr 1972 waren Genesis eine in England zwar durchaus respektierte Band, warteten aber noch immer auf ihren großen Durchbruch. Noch deutete nicht viel darauf hin, dass dieser nur rund ein halbes Jahr später mit einem großen Knall gelingen würde. Doch das ständige Touren sollte sich schließlich auszahlen: Mit ihrem am 6. Oktober veröffentlichten vierten Album »Foxtrot« stellte die immer selbstbewusster werdende Band die Weichen für ihre Welt-karriere.Dabei schreckte sie auch nicht vor einer siebenteiligen, 23-minütigen Suite zurück, die für ihre Fans zu einer Art Hymne werden sollte.

„Ich hab’ da so ein Gefühl, dass besonnene Rockanalytiker der nächsten Dekade in ihren Chroniken wohl kaum an Genesis vorbeikommen werden.“ Mit dieser Einschätzung sollte der britische Musikjournalist Jerry Gilbert, der 1972 für „Sounds“ schrieb, Recht behalten. Ob er beim Schreiben dieser Zeilen für das Programmheft zur gemeinsamen Tour von Lindisfarne und Genesis wohl ahnte, dass die Nachwelt sich sogar noch fünf Dekaden später mit dieser Gruppe und ihren Alben beschäftigen würde? 1972 entschied sich das Schicksal der noch jungen Band, die sich fünf Jahre zuvor an der Charterhouse School in Godalming gegründet hatte. 

Respektiert, aber nicht gefeiert

In ihren ersten Jahren durchliefen Genesis einen Entwicklungsprozess, der auch Umbesetzungen einschloss. 1972 waren mit Peter Gabriel, Tony Banks und Mike Rutherford noch drei der fünf Gründungsmitglieder übrig. Auf dem Drummerstuhl hatte 1970 nach mehreren Wechseln Phil Collins Platz genommen, 1971 war schließlich Steve Hackett als neuer Gitarrist dazugestoßen. Damit war die „klassische Besetzung“ der Band komplett. War ihr Erstling noch eine Aneinanderreihung relativ simpler Popsongs gewesen, schlugen Genesis mit „Trespass“ (1970) und danach mit „Nursery Cryme“ (1971) die musikalische Richtung ein, in die es fortan gehen sollte. Vor allem live entwickelten die fünf allmählich eine besondere Wucht, was viel mit Collins’ Schlagzeugspiel zu tun hatte. Der Jüngste in der Band, der einen viel breiteren musikalischen Background hatte als die übrigen vier, beeindruckte mit seiner Vielseitigkeit und seiner Power und hievte die Gruppe auf ein höheres Level. Das zweite Bandmitglied, das Kritiker und Plattenfirmen beeindruckte, war Sänger Peter Gabriel – ein gut aussehender, offenbar kulturbeflissener junger Mann, dessen Ausstrahlung herausstach und für besondere Aufmerksamkeit sorgte. Auf der Bühne gerierte er sich als Rampensau, abseits davon trat er als Schöngeist und höflicher, eher stiller Mensch auf.

Trotz allem wollte der Funke ausgerechnet daheim auf der Insel nicht richtig überspringen. Genesis spielten regelmäßig in kleinen Clubs vor einer überschaubaren Zahl von Fans. Songs wie „The Knife“ oder „The Musical Box“ hatten ihre Liebhaber. Im Vergleich zu international angesagten Acts oder etwa dem aufstrebenden David Bowie wirkten die Musiker aber noch grün hinter den Ohren. Bei ihren Konzerten schienen sie an nichts als ihren Akkorden und Sounds interessiert zu sein. Woran es mangelte, waren Showelemente. „Genesis wurden respektiert, aber nicht gefeiert“, schreibt Daryl Easlea in seiner Peter-Gabriel-Biografie. Das trifft es.

Silberstreif am italienischen Horizont

Immerhin stellten sich im Ausland erste Erfolge ein: „Trespass“ machte Genesis in Belgien populär, „Nursery Cryme“ schlug vor allem in Italien ein, wo die Gruppe im Frühjahr 1972 durch 13 Städte tourte und in vollen Hallen spielte. „Die starken Melodien und sakralen Einflüsse schienen in der Mittelmeerregion gut anzukommen. Je weiter südlich wir auftraten, desto wärmer war der Empfang“, so Gabriel, den es fortan immer wieder nach Italien ziehen sollte. „Wir steckten irgendwie fest – und dann sahen wir in Italien diesen Silberstreifen am Horizont“, wird auch Mike Rutherford in Easleas Biografie zitiert. 

Finanziell ausgezahlt hatten sich diese Achtungserfolge für die Band jedoch noch nicht: Um das zur Verfügung stehende Equipment war es nicht allzu gut bestellt, für neues war kein Geld da. Aber die gerade mal 21 bzw. 22 Jahre alten Musiker genossen die Zuneigung, die ihnen trotz mancher technischer Panne auf den Bühnen jenseits der Alpen entgegenflog, was sich wiederum positiv auf ihre Kreativität auswirkte. So entstand am 12. April während des Soundchecks im Palasport in Reggio Emilia jener Song, der ein halbes Jahr später der Opener ihres vierten Studioalbums „Foxtrot“ werden sollte: „Watcher Of The Skies“.

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