Er war in Woodstock dabei, hielt das Abschiedskonzert von The Band auf Zelluloid fest, kam den Rolling Stones mit der Kamera auf der Bühne so nah wie niemand sonst und drehte zu Michael Jacksons Song „Bad“ einen 18-minütigen Film nach dem Vorbild der „West Side Story“. Seine Spielfilme sind immer wieder von Rockmusik durchtränkt, beziehen ihre Wucht und Wirkung auch aus dem Rhythmus von Stones, Dylan, Lennon oder The Who. Martin Scorsese ist wohl der berühmteste Rock’n’Roller Hollywoods. Am 17. November wurde der Meisterregisseur 80 Jahre alt. Aus diesem Anlass widmen wir dem Schöpfer von Kultfilmen wie „Taxi Driver“, „The King Of Comedy“ und „Goodfellas“ ein zweiteiliges Special.
Alles begann mit einem geklauten Paar Schuhe: „Ich erinnere mich, wie ich einmal aus dem Fenster [...] zwei Penner sah, wie sie über die Elizabeth Street torkelten. Einer von ihnen war so betrunken, dass ihm der andere die Schuhe stahl, und während dieser Auseinandersetzung hörte ich von irgendwoher ‚When My Dreamboat Comes Home‘ von Fats Domino. So verrückt war diese Welt eben, und ich dachte: ‚Warum sieht man so etwas nie in Filmen?‘“, erinnert sich der Regisseur in Andy Dougans Biografie „Martin Scorsese. Close Up. The Making Of His Movies“. „Diese Welt“, das ist für den Textilarbeitersohn New Yorks Einwandererviertel Little Italy. Dort wächst der am 17. November 1942 geborene Italoamerikaner Scorsese heran, zwischen Gangstern und Priestern, wie er selbst sagt. Besonders prägt ihn dabei auch die Musik: „In den Mietskasernen hörte man Opern aus der einen, Benny Goodman aus der anderen Wohnung und Rock’n’Roll aus dem Untergeschoss.“
Musik als Kommentar zum Geschehen
Martin Scorsese zeigt zu „Layla“ die Folgen einer Mafia-Abrechnung („Goodfellas“, 1990), zu „Mrs. Robinson“ eine Hausdurchsuchung des FBI („The Wolf Of Wall Street“, 2013). In „Taxi Driver“ von 1976, einem Film, der vom symphonischen letzten Soundtrack des kurz nach Ende der Dreharbeiten verstorbenen großen Hitchcock-Komponisten Bernard Herrmann dominiert wird, ist Jackson Brownes sensible Ballade „Late For The Sky“ zu hören, während Travis Bickle (Robert De Niro) im Fernsehen tanzende, fröhliche Menschen sieht und über seine Einsamkeit sinniert. Später wird Bickle den Fernseher zerstören. Das Kalifornien Brownes ist denkbar weit entfernt von Scorseses urbanem Moloch New York. In dem Stundenhotel, in dem die minderjährige Hure Iris (Jodie Foster) ihre Kunden empfängt, ist außerdem ein Bild von Mick Jagger zu sehen.
Bereits der erste Spielfilm Scorseses „Who’s That Knocking At My Door?“ aus dem Jahr 1967 enthält eine Traumsequenz, die mit „The End“ von den Doors unterlegt ist. Zwei Jahre später bringt „Easy Rider“ die Kraft der Rockmusik als Filmsoundtrack erstmals einem breiten Publikum nahe. Ganze zwölf Jahre dauert es, bis „The End“ in Francis Ford Coppolas Vietnamkriegsfilm „Apocalypse Now“ eingesetzt wird, wodurch es im kollektiven kulturellen Gedächtnis auf ewig mit dem Bild fallender Napalmbomben verbunden ist ...