Für eine Band, die praktisch seit rund 47 Jahren Geschichte ist und oft als Bowie-Marionette belächelt wurde, sind Mott The Hoople immer noch sehr gut im Geschäft. Das zeigt auch das jüngst erschienene Boxset zum 50-jährigen Jubiläum des 1972er Albumklassikers „All The Young Dudes“, das auch Anlass für eines der seltenen Interviews mit Mastermind Ian Hunter war.
Connecticut im Dezember 2023: Ian Hunter sitzt in seinem Musikzimmer in New Milford, rund anderthalb Autostunden nördlich von New York City – ein 84-jähriger Rockveteran, der immer noch eine dunkle Sonnenbrille zu wild wuchernden Locken trägt, erstaunlich gut in Form ist (er schwört auf 5000 Schritte pro Tag) und sich im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen bestens an die 70er-Jahre erinnert. Er sei einfach nie ein Partylöwe gewesen, sondern habe immer auf seinen Körper geachtet: „Trotzdem bin ich alt. So alt, dass ich am liebsten im Sitzen spiele und chronischen Tinnitus habe“, legt er los. „Das ist die Berufskrankheit der meisten Musiker. Eines Morgens wacht man auf und hat das Gefühl, als würden einem mehrere Schiedsrichter gleichzeitig in die Ohren pfeifen. Das ist mal mehr, mal weniger heftig, hört aber nicht auf. Deswegen kann ich nur noch akustisch spielen.“
Was auch bedeutet: Eine weitere Mott-The-Hoople-Reunion wird es nicht geben. Zwischen 2009 und 2019 hatte Hunter seine ehemalige Band insgesamt viermal erneut zusammengetrommelt und zumindest in England für ausverkaufte Sporthallen und eine echte Mott-Renaissance gesorgt: „Zu beobachten, wie erwachsene Menschen weinen und zwei Stunden lang herumhüpfen, hat mich sprachlos gemacht. Wir alle waren plötzlich wieder Anfang 20, als hätten wir die Zeit zurückgedreht.“
Mythos Glamrock
Doch vor einigen Jahren sind Bassist Pete Overend Watts und Drummer Dale „Buffin“ Griffin verstorben; Interimsgitarrist Mick Ronson erlag schon 1993 einem Krebsleiden. Der Rest der Truppe ist mit fast 80 im Ruhestand. Nur Hunter ist weiter aktiv und kümmert sich um den Nachlass einer Band, deren Songs wie „The Golden Age Of Rock’n’Roll“, „All The Way From Memphis“, „One Of The Boys“ und „All The Young Dudes“ bis heute nichts an Strahlkraft verloren haben, was laut dem Musiker schlicht daran liegt, dass sie „das Lebensgefühl und die Stimmung der frühen 70er auf den Punkt brachten“. Eben den Wunsch der damaligen Jugend, aus der englischen Nachkriegstristesse mit Plattenbauten, hoher Arbeitslosigkeit und kleinbürgerlichem Mief auszubrechen und den Traum von Abenteuer und Freiheit real werden zu lassen. Rock’n’Roll, schrille Mode, grelles Make-up und lange Haare dienten da als Mittel zum Ausleben von Eskapismus, Rebellion und Selbstverwirklichung. „Ich weiß bis heute nicht genau, was der Begriff Glamrock eigentlich bedeutet, weil es so viele Spielarten gab“, gesteht Hunter. „Roxy Music haben Kunst gemacht, Slade waren laut und krachig – aber es war definitiv der Versuch einer Generation, ihre ureigene Ausdrucksform zu finden und sich aus dem übermächtigen Schatten der Beatles und Rolling Stones zu lösen. Und seien wir ehrlich: Wenn man so scheiße aussah wie die meisten Jungs zu der Zeit, waren ausgefallene Klamotten ein guter Trick, um das ein bisschen zu kaschieren. Man konnte sie nur nicht überall tragen, weil man Gefahr lief, als Schwuchtel beschimpft zu werden und eine Tracht Prügel zu beziehen.“