MRS. KITE - Überzeugungstäter mit langem Atem

30. Mai 2020

XXL-Interview Mrs Kite

MRS. KITE - Überzeugungstäter mit langem Atem

Sieben Jahre nach „A Closer Inspection“ veröffentlichen Mrs. Kite nun ihr drittes Album „Flickering Lights“. Das Warten hat sich gelohnt: Das Werk präsentiert einen modernen Progressive Rock, der sich vor den Szenegrößen nicht zu verstecken braucht. Florian Schuch (Gesang, Keyboards), sein Bruder Ferdinand (Gitarre), Philipp Verenkotte (Bass) und Lukas Preußer (Drums) haben nun drei Alben – das erste 2006 noch unter dem alten Bandnamen It’s Us – veröffentlicht.

Wie seine beiden Vorgänger gewann auch Flickering Lights“ den Deutschen Rock und Pop Preis in der Kategorie „Beste Progressiv Band“. Doch viel Glück hat der Preis Mrs. Kite nicht gebracht, blieb die Band doch trotz der nicht zu leugnenden großen Qualitäten eher eine unbekannte Größe in der hiesigen Prog-Szene. Das soll und kann nun anders werden mit dem neuen Album, über das eclipsed mit dem Kölner Quartett sprach.

eclipsed: Drei Jahre lang habt ihr an dem Album gearbeitet. Warum hat es so lange gedauert?

Lukas Preußer: Ein so vielschichtiges und komplexes Album wie „Flickering Lights“ zu produzieren, ist halt verdammt viel Arbeit! Im Ernst: Das hat mehrere Gründe. Wir sind alle berufstätig und haben gleichzeitig einen recht hohen Anspruch an uns und unsere Musik. Da schafft man leider keine vollständige CD-Produktion in ein paar Monaten. Wir wollten auch das Recording zum Großteil gemeinsam vornehmen, um direktes Feedback zur eingespielten Spur einfließen lassen und damit die Songs noch runder machen zu können. Um das zu ermöglichen, waren eine Menge Absprachen nötig. Wir haben den Mix (ebenso wie die Schlagzeug-Aufnahmen) von Dirk Brouns im Maasland Studio in Sittard in den Niederlanden machen lassen, der da einen großartigen Job gemacht hat. Allerdings waren wir beim Mixing nicht vor Ort in Holland und haben die einzelnen Versionen jeweils via Internet bekommen, mussten uns einen Eindruck machen, Feedback abstimmen und dann unsere Bitten für den nächsten Mix rückmelden. Das hat dann auch jeweils relativ viel Zeit in Anspruch genommen.

eclipsed: Es heißt im Booklet „Music by Ferdinand Schuch. Lyrics by Florian Schuch/Philipp Verenkotte“. Wie entstehen eure Songs? Wie wird aus den Vorlagen von Ferdinand der fertige Song?

Philipp Verenkotte: Es ist so, dass Ferdi uns schon relativ „fertige“, durchkomponierte und qualitativ sehr hochwertige Demos zur Verfügung stellt, die dann Grundlage für die gemeinsame Probenarbeit sind. Je nach den Vorstellungen von uns übrigen drei wird dann am Arrangement – mal mehr, mal weniger – noch geschraubt. Das lässt sich bei mir an den Drums recht plastisch veranschaulichen: Teilweise sind die von Ferdi entworfenen Drumlines und Licks so stark, dass ich mir sie tatsächlich eins zu eins raus höre und übernehme, teilweise ändere ich aber auch eine ganze Menge. Da die Demos allerdings ausschließlich mit „Nonsens-Texten“ eingesungen sind, kümmern sich Flo und ich anschließend um die Lyrics. Wir sind da bereits ein eingespieltes Team, letztlich haben wir alle Lyrics unserer Songs in Co-Produktion geschrieben.

eclipsed: Ihr werdet oft mit Porcupine Tree verglichen. Auch ich habe das in meiner Review gemacht. Wie bewertet ihr diese Vergleiche? Ärgern sie Euch? Oder fasst ihr sie als Kompliment auf?

Ferdinand Schuch: Das ist sicher ein zweischneidiges Schwert: Auf der einen Seite ist es für uns, als relativ unbekannte Band, natürlich ein Kompliment, mit absoluten Protagonisten und Ikonen der Szene verglichen zu werden. Dadurch so eine Art „Labeling“ verpasst zu bekommen, kann durchaus hilfreich sein, weil sich dadurch eine bestimmte Hörerschaft direkt angesprochen fühlt. Auf der anderen Seite erstaunt es uns schon ein bisschen, dass uns eine derartige Nähe ausgerechnet zu Porcupine Tree nachgesagt wird. Klar, wir alle mögen die Band und die Musik sehr – aber wenn wir über musikalische Einflüsse reden, fallen uns direkt und zuerst doch ganz andere Namen ein. Unser Faible für mehrstimmigen Satzgesang z.B. kann man am ehesten wohl auf die Beatles zurückführen, die zu unseren allerersten und prägendsten musikalischen Einflüssen zählen. Zum „Prog“ im klassischen Sinne sind wir dann zunächst über die alten Genesis, Yes, Pink Floyd und Supertramp gekommen, bevor sich dann um das Jahr 2000 herum mit Dream Theater für uns eine ganz neue Welt aufgetan hat. In dem Kontext muss man auch Bands wie Spock’s Beard, Enchant, Devin Townsend oder Pain Of Salvation nennen, die uns sicherlich ebenfalls stark geprägt haben und denen wir – ebenso wie den zuerst genannten Bands aus den 70ern – mal zumindest keinen geringeren Einfluss auf unsere musikalische Entwicklung zusprechen würden als Porcupine Tree. 

eclipsed: Ihr veröffentlicht nur ca. alle sechs Jahre ein Album. Das neue Album „Flickering Lights“ ist sicher unter ganz anderen Voraussetzungen entstanden als das Album davor. Welche Weiterentwicklung hat es bei euch gegeben? Als Band? Persönlich? Was unterscheidet „Flickering Lights“ vom Vorgänger „A Closer Inspection“?

Ferdinand Schuch: Natürlich hat es in der Zeit eine ganze Menge Veränderungen gegeben. Angefangen dabei, dass persönlich viel passiert ist – Lukas z.B. ist zweifacher Vater geworden –, dass sich jeder einzelne am Instrument weiterentwickelt hat und dass auch der persönliche musikalische Horizont weiter geworden ist. Dadurch ist die Band als Ganzes musikalisch gewachsen. Das wirkt sich dann auch auf so einen Produktionsprozess aus. Während „A Closer Inspection“ von den Songs her vielleicht etwas düsterer und schwieriger zugänglich ist, haben wir bei der Songauswahl zu „Flickering Lights“ auch darauf geachtet, dass es etwas offener und eingängiger ist. Ich denke, dass man sich einfach schneller in die Songs einhören kann. Unser Ziel war es, bei „Flickering Lights“ zum einen, einen runden Albumsound zu entwickeln und gleichzeitig alle Facetten unserer Musik durchklingen zu lassen. 

Florian Schuch: Wenn man allein auf das Ergebnis blickt und diesbezüglich nach Veränderungen und Weiterentwicklungen schaut, ist ein wichtiger Punkt sicherlich die aufnahmetechnische Entwicklung. Wir haben uns nicht nur selbst deutlich mehr in das ganze Thema Recording eingearbeitet, sondern hatten bei den Schlagzeugaufnahmen und beim Mixing professionelle Unterstützung. Das hilft der Zugänglichkeit des Albums dann auch noch mal.

eclipsed: Zum dritten Mal habt ihr den Deutschen Rock und Pop Preis in der Kategorie „Beste Progressiv Band“ gewonnen. Also mit jedem Album. Eine stolze Serie. Was denkt ihr darüber? Wie nimmt man überhaupt an diesem Wettbewerb teil?

Lukas Preußer: Man kann und muss sich für eine Teilnahme in einer von mehreren, sehr differenzierten Kategorien bewerben. Das haben wir immer dann gemacht, wenn wir ein neues Album am Start hatten. Und, ja klar, die Serie ist schon eine schöne Sache.

eclipsed: Ihr seid dennoch selbst in der Progressiv-Rock-Szene relativ unbekannt geblieben. Wie erklärt ihr euch das?

Florian Schuch: Genau wissen wir das auch nicht. Es gab allerdings schon ein paar ungünstige Umstände. Direkt nach unserer ersten (noch als It’s Us veröffentlichten) CD hat unser damaliger Bassist die Band verlassen. Die Veröffentlichung des zweiten Albums fiel beim Großteil von uns zeitlich in den Start des Berufslebens – es war daher in beiden Fällen schwierig, das Album wirklich gut zu promoten oder mehr Konzerte zu spielen. Und klar, man hätte sich damals bestimmt noch ein bisschen mehr um PR bemühen können. Dazu kommt aber auch: Der Deutsche Rock und Pop Preis mag zwar bei Radiosendern und lokalen Zeitungen einen guten Ruf haben, mehr allerdings auch nicht. Da ist der Wirkungskreis doch arg beschränkt. Und nicht zuletzt ist es uns als „kleinerer“ Band auch etwas schwergefallen, an Auftrittsmöglichkeiten außerhalb unserer Heimatstadt zu gelangen, mit denen man genre-interessiertes Publikum erreichen kann.

eclipsed: Auf eurer Website bezeichnet ihr euch als „Überzeugungstäter“. Ein schönes Wort. Wovon seid ihr überzeugt?

Philipp Verenkotte: Von der Art Musik, die wir machen. Das klingt vielleicht ein bisschen banal, beinhaltet für uns aber zwei ganz entscheidende Aspekte: Zum einen wäre es sicherlich leichter, weniger aufwendig und möglicherweise auch erfolgsversprechender, wenn wir einfach simplere Songs spielen würden, weniger komplex, einfachere Harmonien, massentauglicher – nur: Dann würden wir nicht mehr hinter unserer eigenen Musik stehen. Wir nehmen bewusst in Kauf, dass wir für unsere Musik mehr Probenarbeit, mehr eigene Vorbereitung, mehr Zeit für eine CD-Produktion investieren müssen und gleichzeitig weniger Auftrittsmöglichkeiten, geringere Zuhörerzahlen und ein gewisses Nischendasein zu erwarten haben. Das machen wir nicht, weil wir arbeitsgeil und publikumsscheu wären, sondern weil es einfach die Musik ist, die uns allen Freude bereitet. Zum anderen sind wir aber auch davon überzeugt, dass „progressive“ Musik im wörtlichen Sinne schon bedeutet, dass man danach strebt, sich als Band stilistisch und musikalisch immer weiterzuentwickeln: Musik ist aus unserer Sicht nicht bereits deswegen „Prog“, wenn sie mehr als drei Harmonien enthält und das Metrum häufig wechselt. Progressive Musik muss aus unserer Sicht keine verkopfte Rechenübung sein, sondern der emotionale Zugang ist auch hier der erste und wichtigste. Davon kann man sich hoffentlich beim Hören unserer Musik selbst überzeugen.

eclipsed: Meiner Meinung nach ist eure Musik zwar komplex, aber nicht kompliziert. Oder anders ausgedrückt: Eure Musik ist anspruchsvoll, aber nicht anstrengend. Wie schafft ihr das?

Ferdinand Schuch: Das ist ein schönes Kompliment – das ist letztlich genau das, wo wir hinwollen. Dass unsere Musik eher unauffällig anspruchsvoll ist, hängt mit einem sehr intuitiven Kompositionsvorgang zusammen. Bei einer Komposition habe ich mir noch nie vorgenommen, mal etwas Kompliziertes zu schreiben. Das Spielen mit Hörerwartungen ist für eine interessante Komposition natürlich wichtig, gleichzeitig versuche ich, diese Erwartungen nicht künstlich zu brechen, nur damit es am Ende irgendwie kompliziert klingt. Wenn ich komponiere, sitze ich am liebsten einfach irgendwo mit meiner Gitarre oder am Klavier, aber auf keinen Fall an meinem Computer, wo ich hoffe, dass mir irgendwas in einer krummen Taktart einfällt. So verkopft könnte ich niemals Musik schreiben. Erst später, wenn die kompositorische Grundidee steht, gehe ich an meinen PC und produziere eine Demoversion. Sollte es bei uns mal etwas vertrackter klingen, so hat sich das aus einem natürlichen Kompositionsprozess heraus ergeben, ohne dass das einem Selbstzweck dienen würde. Über krumme Taktarten in unseren Songs klärt mich dann beim Proben unser Drummer auf.

eclipsed: Ihr habt euch damals nach dem ersten Album von It's Us umbenannt in Mrs. Kite. Warum?

Philipp Verenkotte: Der Name „It’s Us“ ist bereits 1996 entstanden – da waren wir eine junge, Beatles-Songs covernde Schülerband. Wir hatten mit der Zeit das Gefühl, dass wir dem Namen ein wenig „entwachsen“ sind. 2013 dann, am Ende der Arbeiten zu „A Closer Inspection“, haben wir uns dann zum Wechsel entschieden. 
Florian Schuch: Die Wahl des neuen Namens ging dann tatsächlich auch ein wenig auf die Beatles zurück: „Being For The Benefit Of Mr. Kite“ von der „Sgt. Pepper“-Platte hat uns inspiriert – passend auch insofern, als sowohl der Song als auch die Platte selbst maßgeblich für die musikalische Weiterentwicklung der Beatles – also quasi progressive Musik in Reinform – stehen. Und nicht zuletzt fanden und finden wir den Namen „Mrs. Kite“ einfach auch stark und eingängig.

eclipsed: Bitte erzählt mal von den Ursprüngen der Band. Wo kommt ihr her? Wie habt ihr euch kennengelernt? Wie haltet ihr über die großen Lücken zwischen den einzelnen Alben die Motivation hoch?

Florian Schuch: Ferdi ist mein kleiner Bruder und mit Philipp bin ich seit dem 7. Schuljahr zusammen im Kölner Umland zur Schule gegangen – wir drei kennen uns also schon ziemlich lange. Wir haben uns auch musikalisch sehr ähnlich entwickelt, weil wir schon sehr früh zusammen Musik gehört haben – ungefähr seit wir elf Jahre alt sind – und auf diese Weise musikalische „Entdeckungen“ immer relativ parallel erlebt haben. Bereits 1996 haben wir dann It’s Us gegründet. Lukas hingegen ist unser „Nordlicht“, kommt aus Bremerhaven und ist im Rahmen eines „Bassisten-Castings“ bereits 2007 zur Band gestoßen, nachdem wir im Anschluss an unser erstes Album einen neuen Bassisten brauchten. Wir hatten da das große Glück, dass ihn das Studium ins schöne Rheinland gezogen hat. Die Motivation immer hochzuhalten, war tatsächlich teilweise eine große Herausforderung. Aber auch hier half es sehr, dass wir eben – wie Philipp es beschrieben hat – Überzeugungstäter sind. So abgedroschen es klingt: Es ist die Freude an der Musik, die uns über so manche zeitliche Länge hinweggeholfen hat. Und jetzt gerade ist es natürlich sehr motivierend zu sehen, wie gut unser neues Album aufgenommen wird – hoffentlich können wir dieses Mal etwas schneller „nachlegen“.

*** Interview: Bernd Sievers